Robert E. Howard (1906-1936) wird vor allem wahrgenommen als Autor von Low Fantasy- und Abenteuergeschichten, unter denen Conan der Barbar seine mit Abstand prominenteste Schöpfung ist. Weniger bekannt sind seine zahlreichen Erzählungen aus dem Bereich des Horrors und der Dark Fantasy, von denen einige dem von seinem Zeitgenossen und Bekannten H. P. Lovecraft begründeten Cthulhu-Mythos zuzuordnen sind. In einer fünfbändigen Ausgabe veröffentlichte der Festa-Verlag erstmalig über 70 dieser Kurzgeschichten und Fragmente in deutscher Sprache – den Anfang macht der Band „Volk der Finsternis“.
Insgesamt 16 Geschichten auf 352 Seiten entführen uns in verschiedenste Welten: Von Howards zeitgenössischen Texas des frühen 20. Jahrhunderts bis ins exotische Afrika der Kolonialzeit, von einer düsteren amerikanischen Fischerstadt bis in die arabische Wüste, China und sogar das ferne Paläolithikum. Überall lauert das Grauen in verschiedenster Form: Schreckliche Kulte und Götzen aus uralter Zeit, vergessene Völker, Untote und Gestaltwandler. Mehr noch als in den anderen Bänden der Reihe finden sich in „Volk der Finsternis“ Geschichten aus dem Umfeld des Cthulhu-Mythos (u.a. „Schaufelt mir kein Grab“, „Die Kreatur mit den Hufen“, „Der schwarze Bär schlägt zu“) – doch bleiben die Bezüge bis auf knappe Erwähnungen der Großen Alten oder des auch von Lovecraft adaptierten Buch „Unaussprechliche Kulte“ eher oberflächlich.
Mitunter wird der trotz seiner kurzen Lebenszeit erstaunlich produktive Howard als bloßer Schreiber stumpfsinniger „Schundliteratur“ angesehen – eine Bewertung, die so pauschal abzulehnen, aber hinsichtlich mancher Aspekte auch nicht gänzlich aus der Luft gegriffen ist. Besonders auffällig sind hier die Erzählungen „Die Traumschlange“ und „Die Kobra aus dem Traum“, die letztlich beide dasselbe Thema mit demselben Ergebnis verarbeiten. Auch sonst fällt gerade bei diesem ersten Band der gesammelten Werke auf, dass viele Geschichten relativ ähnlichen Mustern mit sich wiederholenden Stereotypen folgen: Howards Protagonisten sind oft überzeichnet kernige Kämpfergestalten, die mit unglaublicher Zähigkeit den Kampf gegen Ungeheuer und Barbarenvölker aufnehmen. Kampf und Gemetzel werden zur eigenen Ästhetik erhoben, Action kommt bei Howard nie zu kurz. Anders als etwa ein Lovecraft verwendet Howard keine übermäßig hochgestochene Sprache. Seine brillante Sprachbeherrschung erweist sich nicht in detaillierten Beschreibungen und intellektuellem Ausdruck, sondern vielmehr in der dramaturgisch vollendeten Anwendung verhältnismäßig schlichter Sprache: Selbst in der modernen Fantasy erreichen wenige Autoren ein solches Maß an Dynamik, dass der Leser so in das Geschehen hineingezogen und buchstäblich hindurchgejagt wird wie bei Robert E. Howard (Stephen King: „eine so unglaubliche Energie, dass geradezu Funken sprühen“). Auch diese Aneinanderreihung von Kurzgeschichten ließt sich so flüssig wie ein guter Roman weg, der Unterhaltungswert ist erstklassig – Respekt gebührt hierbei nicht zuletzt der deutschen Übersetzung durch Doris Hummel.
Unangenehm befremdlich muten heutzutage jene Abenteuergeschichten vor allem im kolonialen Afrika an, in denen die einheimischen Schwarzen nur allzu gerne als barbarische Anhänger uralter Kulte und Schrecken erscheinen („Wolfsgesicht“, „Die Hyäne“, „Der Mond von Zambebwei“). Was heute offen rassistisch erscheint, ging in den 20er Jahren wahrscheinlich noch als normaler Exotismus phantastischer Geschichten durch. Und auch wenn Rasse und ihr Phänotyp ein immer wieder betontes Motiv sind, so erreicht Howard doch immerhin nicht die unverhohlene Menschenverachtung seines Genossen Lovecraft. Ein ähnliches Motiv, das in mehreren Geschichten aufgegriffen wird, ist die Vorgeschichte Großbritanniens, vorgestellt als Abfolge von Eroberungen verschiedener Völker – wobei ein uraltes, nicht mehr ganz menschliches Volk zur Grundlage für die Zwerge, Elfen und anderen Wesen des Volksglaubens wurde und unterirdisch in schrecklich degenerierter Form überlebt hat („Volk der Finsternis“, „Das kleine Volk“). Hinter diesem wiederkehrenden Motiv steckt bei Howard mehr als ein bloßer Fantasy-Topos, wie gerade diese Ausgabe herauszustellen weiß: Drei im Anhang abgedruckte Briefe zwischen Howard, Lovecraft und ihrem Verleger Farnsworth Wright zeugen von den den komplexen ethnologischen Überlegungen, die Howards Darstellungen zugrunde lagen. Auf Basis damaliger linguistischer und archäologischer Theorien entwickelte Howard eigene Modelle zur ethnischen Vorgeschichte Britanniens, die er in seinen Geschichten verarbeitete und auch mit Lovecraft lebhaft diskutierte. Mögen diese Ansätze im Rahmen der heutigen Forschung größtenteils obsolet geworden sein, so sind sie doch auf faszinierende Weise Zeitdokument der Gelehrsamkeit jener Zeit vor fast einhundert Jahren, für die Howard ein bemerkenswertes Maß historischer Kenntnisse in seine Texte integrierte. Dieser Mentalitätswandel der Forschung ist wohl noch bezeichnender in „Speer und Reißzähne“, Howards erster im Alter von 18 Jahren an die Zeitschrift Weird Tales verkaufter Geschichte: Geschildert wird der Konflikt zwischen Cro-Magnon-Menschen und Neandertalern in der Steinzeit – erstere etwas und letztere extrem barbarisch dargestellt, wie es Anfang des 20. Jahrhunderts noch weithin den etablierten Klischees entsprach. Überhaupt sind geschichtliche Bezüge, verhältnismäßig gut recherchiert, typisch für Howards Werk, zu dem schließlich auch ganze Zyklen historischer Erzählungen gehören (auf Deutsch u.a. in den Sammelbänden „Die Schwertkämpferin“ und „Der Löwe von Tiberias“ erschienen). Gerne lässt er dabei auch mehrere Zeitebenen sich überschneiden – in „Das Feuer von Asshurbanipal“ etwa, wo Schatzsucher eine alte assyrische Ruinenstadt in der arabischen Wüste aufsuchen, oder in „Volk der Finsternis“ selbst, da in Form einer Vision Ereignisse in der Gegenwart mit solchen in der fernen britischen Vorgeschichte parallelisiert werden.
Das Werk von Robert E. Howard lädt auf vielerlei Weise zur Erörterung ein: Hinsichtlich der verarbeiteten historischen Stoffe und ihrer Forschungsgeschichte im frühen 20. Jahrhundert ebenso wie im Kontext der zeitgenössischen Phantastik aus dem Umkreis von Weird Tales, gleichsam vor dem Hintergrund der Person und Biographie Howards wie seiner literarischen Bekanntschaften und Vorbilder. Bei aller Analyse aber sind die phantastischen Geschichten doch zuallererst großartige Unterhaltung, die so lebendig wie das Werk kaum eines anderen in exotische Zeiten und Länder voller finsterer Bedrohungen entführt.
Mehrere Geschichten aus „Volk der Finsternis“ sind übrigens auch in dem jüngst erschienenen Band „Der Mythos des Cthulhu“ enthalten. Dieser versammelt als Paperback (im Gegensatz zu den teuren Hardcovern der fünfbändigen Reihe) auf rund 500 Seiten sämtliche Cthulhu-Mythos-Geschichten Howards, die verteilt auch in den gesammelten Horrorgeschichten enthalten sind.