Volk der Finsternis (REH Horrorgeschichten 1)

Robert E. Howard (1906-1936) wird vor allem wahrgenommen als Autor von Low Fantasy- und Abenteuergeschichten, unter denen Conan der Barbar seine mit Abstand prominenteste Schöpfung ist. Weniger bekannt sind seine zahlreichen Erzählungen aus dem Bereich des Horrors und der Dark Fantasy, von denen einige dem von seinem Zeitgenossen und Bekannten H. P. Lovecraft begründeten Cthulhu-Mythos zuzuordnen sind. In einer fünfbändigen Ausgabe veröffentlichte der Festa-Verlag erstmalig über 70 dieser Kurzgeschichten und Fragmente in deutscher Sprache – den Anfang macht der Band „Volk der Finsternis“.
Insgesamt 16 Geschichten auf 352 Seiten entführen uns in verschiedenste Welten: Von Howards zeitgenössischen Texas des frühen 20. Jahrhunderts bis ins exotische Afrika der Kolonialzeit, von einer düsteren amerikanischen Fischerstadt bis in die arabische Wüste, China und sogar das ferne Paläolithikum. Überall lauert das Grauen in verschiedenster Form: Schreckliche Kulte und Götzen aus uralter Zeit, vergessene Völker, Untote und Gestaltwandler. Mehr noch als in den anderen Bänden der Reihe finden sich in „Volk der Finsternis“ Geschichten aus dem Umfeld des Cthulhu-Mythos (u.a. „Schaufelt mir kein Grab“, „Die Kreatur mit den Hufen“, „Der schwarze Bär schlägt zu“) – doch bleiben die Bezüge bis auf knappe Erwähnungen der Großen Alten oder des auch von Lovecraft adaptierten Buch „Unaussprechliche Kulte“ eher oberflächlich.

Mitunter wird der trotz seiner kurzen Lebenszeit erstaunlich produktive Howard als bloßer Schreiber stumpfsinniger „Schundliteratur“ angesehen – eine Bewertung, die so pauschal abzulehnen, aber hinsichtlich mancher Aspekte auch nicht gänzlich aus der Luft gegriffen ist. Besonders auffällig sind hier die Erzählungen „Die Traumschlange“ und „Die Kobra aus dem Traum“, die letztlich beide dasselbe Thema mit demselben Ergebnis verarbeiten. Auch sonst fällt gerade bei diesem ersten Band der gesammelten Werke auf, dass viele Geschichten relativ ähnlichen Mustern mit sich wiederholenden Stereotypen folgen: Howards Protagonisten sind oft überzeichnet kernige Kämpfergestalten, die mit unglaublicher Zähigkeit den Kampf gegen Ungeheuer und Barbarenvölker aufnehmen. Kampf und Gemetzel werden zur eigenen Ästhetik erhoben, Action kommt bei Howard nie zu kurz. Anders als etwa ein Lovecraft verwendet Howard keine übermäßig hochgestochene Sprache. Seine brillante Sprachbeherrschung erweist sich nicht in detaillierten Beschreibungen und intellektuellem Ausdruck, sondern vielmehr in der dramaturgisch vollendeten Anwendung verhältnismäßig schlichter Sprache: Selbst in der modernen Fantasy erreichen wenige Autoren ein solches Maß an Dynamik, dass der Leser so in das Geschehen hineingezogen und buchstäblich hindurchgejagt wird wie bei Robert E. Howard (Stephen King: „eine so unglaubliche Energie, dass geradezu Funken sprühen“). Auch diese Aneinanderreihung von Kurzgeschichten ließt sich so flüssig wie ein guter Roman weg, der Unterhaltungswert ist erstklassig – Respekt gebührt hierbei nicht zuletzt der deutschen Übersetzung durch Doris Hummel.

Unangenehm befremdlich muten heutzutage jene Abenteuergeschichten vor allem im kolonialen Afrika an, in denen die einheimischen Schwarzen nur allzu gerne als barbarische Anhänger uralter Kulte und Schrecken erscheinen („Wolfsgesicht“, „Die Hyäne“, „Der Mond von Zambebwei“). Was heute offen rassistisch erscheint, ging in den 20er Jahren wahrscheinlich noch als normaler Exotismus phantastischer Geschichten durch. Und auch wenn Rasse und ihr Phänotyp ein immer wieder betontes Motiv sind, so erreicht Howard doch immerhin nicht die unverhohlene Menschenverachtung seines Genossen Lovecraft. Ein ähnliches Motiv, das in mehreren Geschichten aufgegriffen wird, ist die Vorgeschichte Großbritanniens, vorgestellt als Abfolge von Eroberungen verschiedener Völker – wobei ein uraltes, nicht mehr ganz menschliches Volk zur Grundlage für die Zwerge, Elfen und anderen Wesen des Volksglaubens wurde und unterirdisch in schrecklich degenerierter Form überlebt hat („Volk der Finsternis“, „Das kleine Volk“). Hinter diesem wiederkehrenden Motiv steckt bei Howard mehr als ein bloßer Fantasy-Topos, wie gerade diese Ausgabe herauszustellen weiß: Drei im Anhang abgedruckte Briefe zwischen Howard, Lovecraft und ihrem Verleger Farnsworth Wright zeugen von den den komplexen ethnologischen Überlegungen, die Howards Darstellungen zugrunde lagen. Auf Basis damaliger linguistischer und archäologischer Theorien entwickelte Howard eigene Modelle zur ethnischen Vorgeschichte Britanniens, die er in seinen Geschichten verarbeitete und auch mit Lovecraft lebhaft diskutierte. Mögen diese Ansätze im Rahmen der heutigen Forschung größtenteils obsolet geworden sein, so sind sie doch auf faszinierende Weise Zeitdokument der Gelehrsamkeit jener Zeit vor fast einhundert Jahren, für die Howard ein bemerkenswertes Maß historischer Kenntnisse in seine Texte integrierte. Dieser Mentalitätswandel der Forschung ist wohl noch bezeichnender in „Speer und Reißzähne“, Howards erster im Alter von 18 Jahren an die Zeitschrift Weird Tales verkaufter Geschichte: Geschildert wird der Konflikt zwischen Cro-Magnon-Menschen und Neandertalern in der Steinzeit – erstere etwas und letztere extrem barbarisch dargestellt, wie es Anfang des 20. Jahrhunderts noch weithin den etablierten Klischees entsprach. Überhaupt sind geschichtliche Bezüge, verhältnismäßig gut recherchiert, typisch für Howards Werk, zu dem schließlich auch ganze Zyklen historischer Erzählungen gehören (auf Deutsch u.a. in den Sammelbänden „Die Schwertkämpferin“ und „Der Löwe von Tiberias“ erschienen). Gerne lässt er dabei auch mehrere Zeitebenen sich überschneiden – in „Das Feuer von Asshurbanipal“ etwa, wo Schatzsucher eine alte assyrische Ruinenstadt in der arabischen Wüste aufsuchen, oder in „Volk der Finsternis“ selbst, da in Form einer Vision Ereignisse in der Gegenwart mit solchen in der fernen britischen Vorgeschichte parallelisiert werden.

Der Mythos des Cthulhu: Erzählungen von [Robert E. Howard]

Das Werk von Robert E. Howard lädt auf vielerlei Weise zur Erörterung ein: Hinsichtlich der verarbeiteten historischen Stoffe und ihrer Forschungsgeschichte im frühen 20. Jahrhundert ebenso wie im Kontext der zeitgenössischen Phantastik aus dem Umkreis von Weird Tales, gleichsam vor dem Hintergrund der Person und Biographie Howards wie seiner literarischen Bekanntschaften und Vorbilder. Bei aller Analyse aber sind die phantastischen Geschichten doch zuallererst großartige Unterhaltung, die so lebendig wie das Werk kaum eines anderen in exotische Zeiten und Länder voller finsterer Bedrohungen entführt.

Mehrere Geschichten aus „Volk der Finsternis“ sind übrigens auch in dem jüngst erschienenen Band „Der Mythos des Cthulhu“ enthalten. Dieser versammelt als Paperback (im Gegensatz zu den teuren Hardcovern der fünfbändigen Reihe) auf rund 500 Seiten sämtliche Cthulhu-Mythos-Geschichten Howards, die verteilt auch in den gesammelten Horrorgeschichten enthalten sind.

The Handyman

Bentley Little ist einer der „Stammautoren“ des jungen Buchheim-Verlags – also auch kein Wunder, dass mit „The Handyman“ ein Werk von ihm als 6. Band der limitierten Cemetery Dance Germany-Reihe erschienen ist. Auf rund 400 Seiten inszeniert Little eine innovative Neuinterpretation des altbekannten Geisterhaus-Themas rund um den vielleicht schrecklichsten Handwerker der Schauerliteratur …
Die Kindheit von Daniel verlief ruhig und unspektakulär – bis seine Eltern auf die folgenschwere Idee kommen, ein Ferienhaus für die Familie zu erwerben. Der Nachbar und allzu von sich selbst überzeugte Bastler Frank Watkins bietet an, das Fertighaus für sie aufzubauen. Doch Frank ist seltsam – sein Auftreten wirkt künstlich, allem Anschein nach hat er auch Teile des Baumaterials veruntreut. Schließlich häufen sich seltsame Vorkommnisse: Schatten gehen im Haus umher. Daniel hat Albträume von Franks alter Frau Irene. Und schließlich findet man gar einen Haufen toter Hunde in dem Hohlraum unter dem Haus. Als dann auch noch Daniels kleiner Bruder bei einem Unfall ums Leben kommt, ist Frank längst über alle Berge und unauffindbar.
Jahrzehnte später – Daniel ist inzwischen ein etablierter Makler, die traumatischen Ereignisse und das Zerbrechen seiner Familie fast verdrängt. Dann aber stößt er wie durch Zufall auf eine junge Familie, deren Geschichte der seinen erstaunlich ähnelt. Das Ferienhaus seiner Eltern war nicht das einzige – wie sich herausstellt, hat Frank noch viel mehr Häuser gebaut, seine teuflische Saat über Jahrzehnte in den ganzen Vereinigten Staaten ausgebracht. Überall häuften sich rätselhafte Ereignisse, Katastrophen jeder Art und tragische Unfälle. Schon bald schlagen Daniels Recherchen in Obsession um – während sich ihm das Ausmaß des Grauens mehr und mehr offenbart, beschließt er, Frank zu finden und Rache zu nehmen …
„The Handyman“ ist kein bloßer Geisterhausgrusel. Vielmehr ist Bentley Little ein hervorragend atmosphärischer Horrorroman gelungen, in dem sich Erschreckendes, Unbekanntes und schaurige Ahnungen perfekt ergänzen. Obgleich bisweilen drastisch, sind explizite Gräuel doch nicht der Kern der Handlung. Immer weiter wird man hineingezogen in die Suche nach Frank, der überall unter anderem Namen auftaucht, eine Spur tragischer Schicksale hinter sich herzieht und anscheinend nie gealtert ist … Gerade die Ausweitung auf eine ganze Reihe von Häusern und Schicksalen macht die Geschichte besonders wirkungsvoll: Wie Kurzgeschichten werden im Mittelteil weitere Episoden eingebettet, Puzzlesteine in einem Mosaik des Grauens um den teuflischen Häuserbauer Frank. Lebendig geschilderte Einzelschicksale werden so auf eine noch weitere Ebene abstrahiert, die schließlich zunehmend kosmische Dimensionen annimmt. Für diese Brillanz des Spannungsaufbaus ist das Ende schließlich fast schon unangenehm unspektakulär, wo man vielleicht ein dramatischeres Finale erwartet hätte. Doch das tut der Gesamtqualität des Werkes keinen Abbruch – leicht und flüssig geschrieben, noch dazu atmosphärisch illustriert von Glenn Chadbourne, bleibt „The Handyman“ ein hervorragender Schauerroman, der auf einzigartige Weise lebendige Schicksale und wirkungsvollen Kontext, klassischen Gothic Horror und harten Thriller miteinander vereint.

Absorption

Absorption von [Ian Cushing]Mit „Absorption“ ist vor kurzem das dritte Buch von Ian Cushing (In Ewigkeit, Die Träne der Zauberschen) erschienen – nach einer Novelle und einem Roman handelt es sich nun um die erste Kurzgeschichtensammlung des engagierten Neuautors. Obwohl – oder vielleicht gerade weil – im Self-Publishing veröffentlicht, ist es dem Autor bereits gelungen, eine Art eigene Marke zu etablieren. Das atmosphärische Cover stammt wie bei den vorigen Bänden von dem Künstler Karmazid, diesmal jedoch ergänzt durch zahlreiche weitere Illustrationen am Anfang eines jeden Kapitels. Das dient nicht nur dem Wiedererkennungswert, sondern verleiht dem Werk auch schon eine allein optische Qualität, die mühelos mit Verlagspublikationen mithalten kann und einen unverwechselbaren eigenen Akzent setzt.
12 Geschichten und ein Gedicht sind hier auf rund 250 Seiten versammelt – in Genre und Thema grundverschieden und doch verwandt im charakteristischen Stil des Autors.
Ein Mann sieht sich an Weihnachten hilflos einer „Home Invasion“ gegenüber, ein König muss sich mit seltsam archetypischen Beratern herumschlagen und eine an überhaupt kein reales Vorbild erinnernde Politikerin wird plötzlich mit der Realität konfrontiert …
Klassische Horrorfilmfiguren verbringen ihr allzu unspektakuläres (Un-)Leben in einer Seniorenresidenz, der gemeinsame Tod eines unglücklichen Liebespaares bringt nicht das gewünschte Ergebnis und auch ein erfolgreicher Topagent ist nicht ganz das, wofür er sich hält …
Am längsten schließlich ist die letzte Geschichte „Der Spuk“ – ein drastischer Psychothriller über eine labile Frau, die seltsame Geräusche im Haus vernimmt und doch nicht annähernd das Ausmaß der menschlichen Abgründe um sich herum erahnt …
Cushings Werke sind nur allzu persönlich, in diesem Falle noch verstärkt durch ein kurzes Nachwort zu den Hintergründen einer jeden Kurzgeschichte. Gewichtige Themen wie Tod, Liebe und Demenz reizen Cushing zu manch philosophischen Szenarien, die gerade in ihren subjektiven Ansätzen die ganze Skala von kitschig bis zynisch ausreizen. Möglich wir das nur durch eine trotz unweigerlicher Kürze meisterhaft lebendige Charakterzeichnung, beim introvertierten Musikliebhaber ebenso wie beim alten Ehepaar und eiskalten Psychopathen. Rund um die in mehreren Geschichten auftretende Ortschaft Pfuhlenbeck zeichnet sich mittlerweile ein ganzes Universum mit wiederkehrendem Figureninventar ab: In gleich zwei Geschichten begegnen wir Hank, einem schamlos herumphilosophierenden Trinker, der seinen dritten Auftritt übrigens in einem Beitrag der Anthologie „Zombie Zone Germany“ hat. Und auch die teils toten, teils lebendigen Protagonisten aus „Die Träne der Zauberschen“ erleben manch unerwarteten neuen Auftritt. Man kann gespannt sein, wie sich dieser Kosmos im Zukunft entwickeln mag …
Von Phantastik und Drama bis zum Märchen – „Absorption“ bedient ganz verschiedene Genres und lässt sich doch im Ganzen unmöglich einordnen. Innovativ aber sind alle Geschichten – so unterschiedlich auch ihre jeweilige Aussage, wird doch eine jede pointiert und plastisch zum Leben erweckt. Durchaus von einiger literarischer Qualität, liest sich das Buch doch aller Bedeutungslast zum Trotze kurzweilig und unterhaltsam – eine lohnende Lektüre also, die buchstäblich zur Absorption einlädt.

Anmerkung: Persönliches Rezensionsexemplar – könnte Spuren von Befangenheit enthalten.

Tortured Souls / Infernal Parade

Es kommt wohl der Erfüllung eines Herzenswunsches vieler Horror-Leser gleich, was jüngst der Buchheim-Verlag als fünften Teil von Cemetery Dance Germany veröffentlichte: Den illustrierten und signierten Doppelband der Novellen „Tortured Souls“ und „Infernal Parade“ von Horror-Legende Clive Barker. Wenngleich ziemlich kurz und schnell gelesen, ist das Buch doch eine typische Perle des bekannten Barker-Stils, dem schon Klassiker wie die „Bücher des Blutes“ und die Geschichte des bekannten Splatterfilms „Hellraiser“ entsprangen.
„Tortured Souls“ spielt in der fiktiven und irgendwie völlig zeitlosen Stadt Primordium, die selbst mehr Allegorie ist als historisch fassbar. Hier lebt der verbitterte Attentäter Zarles Kreiger, den die Begegnung mit der Tochter seines letzten Opfers endgültig desillusioniert. Um sich gegen die dekadente Herrschaft des Imperators von Primordium aufzulehnen, sucht er die Hilfe von Agonistes – einem uralten Wesen jenseits von Gut und Böse, das die Verzweifelten in grausiger Manier zu furchtbaren Schrecken ihrer Mitmenschen umgestaltet. Kreiger und seine Geliebte Lucidique sehen sich einer Welt aus Blut und Elend gegenüber …
Einerseits evoziert die Geschichte allzu verstörende Schrecken blasphemischer Verwandlungen, wie wir es aus Hellraiser & Co. kennen, doch all das fast ohne konkrete, plastische Details. Während Barker das Lesergehirn anregt, sich diese Gräuel schön selbst noch lebendiger auszumalen, als es seine Worte vielleicht könnten, widmet er jene lieber den charakterlichen Verwicklungen, den schon ans Märchenhafte grenzenden Intrigen von Primordium und einer Auswahl weiterer grotesker Schrecken. „Tortured Souls“ liegt den bekannten Themen im Werk von Clive Barker naturgemäß nahe, bleibt als skurriles, wenngleich großartig inszeniertes Splatterpunk-Märchen aber doch einzigartig.
In der Handlung weit weniger stringent ist der zweite Teil „Infernal Parade“: Hier wird der zum Tode verurteilte Tom Requiem von einer düsteren Parallelgesellschaft mit dem Anführen einer Höllenparade beauftragt, deren Teilnehmer er zunächst noch einsammeln muss. So ist dann abseits dieser Rahmenhandlung die Novelle eigentlich mehr eine Aneinanderreihung von vier mehr oder weniger unabhängigen Kurzgeschichten, die doch alle für sich lebendigen Horror ganz unterschiedlicher Art heraufbeschwören. Wir haben da einen Jungen, der fahrlässig einen Golem mit der Vernichtung seiner kaputten Familie beauftragt, oder den gewissenlosen Dr. Fetter, der seine Profession im Erschaffen von Monstern gefunden hat. In einer an Primordium aus „Tortured Souls“ erinnernden Fantasiewelt entspannen sich soziale Unruhen, schließlich greift auch eine junge Frau mit ihrem so vielversprechenden Liebeszauber daneben …
Genau wie der Vorgänger ist „Infernal Parade“ ein Experiment abseits klassischer Konventionen, und dabei auch genauso wirkungsvoll. Jede einzelne Geschichte ist für sich beunruhigend und zugleich innovativ – nicht bloßer Splatter-Horror, sondern durchdachte Parabeln mit teils drastischen Horror-Elementen. Atmosphärisch passend tragen dazu auch die meist düsteren und etwas abstrahierten Illustrationen bei.
Damit ist der ganze Doppelband gleichsam repräsentativ und bemerkenswert für das Werk Clive Barkers: Selten hat es ein Autor geschafft, solch schockierende Erzählungen zugleich so intelligent und poetisch zu inszenieren. Barker beweist, dass das Splatterpunk-Genre sich nicht mit stupiden Geschichten begnügen muss, sondern zugunsten von Stil und Handlung sogar die plastischen Schrecken einmal zurückstellen kann, während sie andernorts eben ihre inhaltliche Funktion erfüllen. Von dieser Art hätte man durchaus noch einiges mehr lesen können.

Turn Down the Lights

Während das Horror-Magazin Cemetery Dance in Deutschland erst seit kurzem mit einer Reihe beim Buchheim-Verlag vertreten ist, feierte es im englischen Sprachraum bereits sein 25-jähriges Jubiläum. Dazu erschien eine Anthologie voller Geschichten namhafter Horror-Autoren, die zu unserem Glück auch als vierter Band in die deutsche Reihe übernommen wurde. Mit 200 Seiten und großer Schrift ist „Turn Down the Lights“ nicht allzu umfangreich (innerhalb von ein bis zwei Tagen durchgelesen), doch dafür durch das Format sowie individuelle Illustrationen zu jeder einzelnen Geschichte umso hochwertiger gestaltet.
Herausgeber Richard Chizmar schreibt im Vorwort interessant über die Geschichte des CD-Magazins, Horrorautor Thomas F. Monteleone („Das Blut des Lammes“) schließt das Werk mit einem ebenso persönlichen Nachwort ab. Wie schon Band 2 „Shivers VIII“ startet auch dieses Buch mit einer gewohnt atmosphärischen Geschichte von Stephen King, deren Handlung dann aber doch eher unspektakulär ist. Die übrigen Geschichten dann decken ein breites Spektrum düsterer Szenarien ab: Jack Ketchum, eigentlich eher bekannt für realistische Psycho-Thriller, bietet mit „Die Toten des Westens“ eine zwar grausige, aber keinesfalls plastisch-actionbasierte Zombie-Geschichte aus dem Wilden Westen – mit Verbindungen ins Alte Ägypten. Schließlich gibt es drastische Monstergeschichten mit Ronald Kellys „Das Plumpsklo“ und Steve Rasnic Tems „Schräge Vögel“, Bentley Little legt mit „Im Zimmer“ eine solide, etwas beunruhigende Coming-of-Age-Mystery-Story vor. Besonders schön erscheint „Alleinflug“ von Ed Gorman – eigentlich kein Horror, sondern die lebendige Geschichte über zwei alte Männer, die angesichts des Lebensendes zu kompromisslosen Helden des Alltags mutieren. Horror-Ikone Clive Barker schreibt in „Püppchen“ über das harte Schicksal eines Mädchens – und die zunehmend bedenkliche Beziehung zu ihrer Puppe. „Die gesammelten Kurzgeschichten von Freddie Prothero, Einleitung von Dr. phil. Torless Magnussen“ von Peter Straub ist vielleicht der verstörendste Beitrag, indem er aus reichlich surrealer Perspektive die Gedanken eines Kindes zelebriert.
Leider ist „Turn Down the Lights“ so schnell durchgelesen, dass das Vergnügen nicht lange währt. Doch macht sich der prominent besetzte Horror-Prachtband nicht nur schön im Regal, sondern unterhält auch hervorragend mit seinen zehn düsteren Geschichten. Der Titel aber erfordert wohl eine gewisse Erläuterung: Während es zwar die Lesedauer verlängert, das Licht bereits vor Beendigung des Lesevorgangs zu dimmen, ist es doch dem Unterhaltungswert nur wenig zuträglich. Eine Verdunkelung in Anschluss daran ermöglicht dagegen die vorgesehene Diffusion der Eindrücke im Gehirn, die als beunruhigender Nachgeschmack eher vorgesehen ist.

The Mountain King

Obwohl Rick Hautala über 90 Romane und Kurzgeschichten veröffentlichte und in der Horrorliteratur des englischen Sprachraums weite Beachtung fand, ist erst nun, sechs Jahre nach seinem Tod, sein erster Roman ins Deutsche übersetzt worden: „The Mountain King“, erschienen als dritter Band der Serie „Cemetery Dance Germany“ im jungen Buchheim-Verlag. Es ist der bislang einzige längere Roman in dieser Reihe, die etwa mit Widow’s Point und Shivers VIII bislang eher Novellen und Anthologien veröffentlichte. Wie auch alle anderen Teile liegt „The Mountain King“ in großformatiger Edelausgabe vor, samt einigen schönen Illustrationen und Nummerierung.
Mark Newman und sein Freund Phil Sawyer sind auf einer Wanderung am unwirtlichen Mount Agiochook. Dann, während eines Schneesturmes, kommt es zur Katastrophe – Phil stürzt an einer Felsklippe ab und bleibt reglos liegen. Hilflos muss Mark beobachten, wie der Freund von einem haarigen Ungeheuer gepackt und verschleppt wird. Allein kehrt er in seinen Heimatort zurück. Während die anderen Bewohner ihn zunehmend des Mordes an Phil verdächtigen, glaubt Mark als einziger noch an das Überleben seines Freundes und kann es nicht erwarten, in die Wildnis zurückzukehren. Doch die Kreatur in den Bergen hat Blut geleckt und folgt dem Geflüchteten ins Tal – schon bald müssen nicht nur Mark und seine Familie um ihr Leben fürchten …
„The Mountain King“ fesselt von Anfang an – und später umso mehr. Mehrere Perspektiven wechseln sich ab, was immer wieder die Spannung wechselseitig erhöht. Hautala ist ein Roman gelungen, der trotz phantastischer Elemente letztlich knallhart in der Realität verwurzelt bleibt. Die halbmenschlichen Ungeheuer – der Name Bigfoot fällt trotz eindeutiger Anklänge nicht – sind keinesfalls überzeichnet, vielmehr allzu naturalistisch dargestellt und damit umso bedrohlicher. Was den Umgang der anderen Menschen mit Phil angeht – Unglaube und Misstrauen – umschifft Hautala die schon zwangsläufig zu erwartenden Klischees zugunsten differenzierterer Charakterzeichnung. Drastisch sind schließlich die Gewaltszenen, weniger durch Menge und Detail als vielmehr wohl dosierte Inszenierung, wenn sich der Roman gegen Ende – nach Enttäuschung so mancher Erwartungen des Lesers – endgültig zum bloßen Überlebenskampf verdichtet.
Obwohl bisweilen recht blutig, ist „The Mountain King“ letztendlich eben keine stupide Monstergeschichte, sondern vielmehr ein schonungsloser und spannender, weil flüssig und zugleich realistisch geschriebener Horrorthriller, wirkungsvoller als ein Großteil der einschlägigen Genreliteratur. Dass von den Werken Rick Hautalas gerade dieses Eingang in die deutsche Sammler-Reihe fand, ist durchaus verständlich, auch ohne die übrigen zu kennen.

Der Höllenpanzer

Der HöllenpanzerBrachte der zweite Weltkrieg nicht auch ohne Dämonen schon genug Schrecken? Graham Masterton war glücklicherweise anderer Meinung – so entstand „Der Höllenpanzer“ (engl. „The Devils of D-Day“), jüngst erschienen als achter Band von Festas Pulp-Legends-Reihe.
1944: Die Alliierten landen in der Normandie. Eine geheimnisvolle Division von 13 schwarzen Panzern durchbricht die feindlichen Linien und vernichtet die deutschen Truppen ohne Widerstand. Danach verschwinden sie wieder spurlos – nur eines der unbezwingbaren Fahrzeuge bleibt zurück und wird noch vor Ort zugeschweißt. Noch 35 Jahre später, als der amerikanische Landvermesser Dan McCook die Gegend besucht, fürchten die Einheimischen den Fluch des eingewachsenen Panzers, der seit Jahrzehnten Leid und Elend über die Dörfer bringt. Doch McCook beschließt, dem ein Ende zu machen und den Panzer zu öffnen – womit er dämonische Mächte befreit …
„Der Höllenpanzer“ ist mit knapp 270 Seiten, groß beschrieben, eher eine Novelle als ein Roman, schnell und flüssig durchgelesen. Eigentlich ist der Originaltitel passender, denn keinesfalls geht es nur um diesen einen höllischen Panzer: Der fungiert vielmehr als rätselhafter Aufhänger für einen deutlich weiter reichenden Abstieg in okkulte Abgründe der Vergangenheit. Masterton gelingt es hervorragend, die Ereignisse der Zeitgeschichte mit historischer Dämonologie zu verbinden und beides hervorragend atmosphärisch zu inszenieren, ohne dass die Verbindung unpassend oder lächerlich wird. Die verfluchten Panzer des Krieges wirken nicht etwa trashig, sondern – gerade durch die indirekte und zu Anfang sehr geheimnisvolle Darstellung – allzu authentisch und bedrohlich. Das Erzähltempo ist schnell – keine unnötigen Längen gibt es in der Gegenwartshandlung und die historischen Rückblicke werden gerade durch ihre Knappheit umso wirkungsvoller.
„Der Höllenpanzer“ ist letztendlich zwar kein langes Vergnügen, aber doch eine Perle innovativer Schauerliteratur, meiner Meinung nach einer der besten Teile der „Pulp Legends“.

Die Farm & Die Stadt

Die Farm & Die StadtDie Tierwelt schlägt zurück – immer wieder ein gerne gesehenes Thema, so auch in der „Schweine-Saga“ von Richard Haigh, deren beide Teile „Die Farm“ und „Die Stadt“ nun in einem Band der Pulp-Legends-Reihe des Festa-Verlags vorliegen.
Der ehemalige Arzt Paul Thompson hatte sich eigentlich ein beschauliches Leben als Landwirt vorgestellt, als er Hobb’s Farm aufkaufte. Die Aussichten – rosig, hat er doch sein Geld in die Buckland Whites gesetzt, eine neue, größere und intelligentere Schweinerasse, die beträchtlichen Gewinn verspricht. Doch dann die Katastrophe – auf einer Landstraße kommt es zu einem großen Verkehrsunfall, bei dem große Mengen giftiger Chemikalien ins Grundwasser gelangen. Thompson, seine Familie und Bekannte, die auf der Farm inmitten so vieler Tiere leben, ahnen nichts Böses. Dann aber beginnen alle Tiere sich zunehmend aggressiv zu verhalten und schon bald muss ein jeder um sein Leben fürchten.
Einige Zeit später findet in London eine große Landwirtschaftsmesse statt. Und auch hier sind die berüchtigten Buckland Whites zu Gast …

Das Cover des Buches verspricht einen ziemlich blutigen Trash-Roman. Die Wahrheit aber sieht anders aus: Der Sprachstil der beiden auf 500 Seiten vereinten Romane ist zwar überwiegend klar und schmucklos, doch keinesfalls primitiv, wird man doch immer wieder durch allzu passende Formulierungen überrascht. Und schließlich sind die beiden Bücher auch nicht wirklich bloße Splatter-Geschichten, sondern vielmehr Thriller – ein größerer Teil als dem Gemetzel gilt der langsamen Vorbereitung, die Spannung gewinnt nicht trotz, sondern eben weil man den Ausgang bereits erwartet. Dafür lässt sich Haigh genüsslich Zeit – geradezu brillant etwa die Anfangsszene, in der im schnellen Wechsel die Perspektiven der diversen Verkehrsteilnehmer geschildert werden, die sich schließlich zum gemeinsamen Unfall verdichten. Und auch als dann endlich auf dem Bauernhof die Situation eskaliert, sind die sich steigernden Attacken der Tiere doch erschreckend unspektakulär, wenngleich allzu wirkungsvoll. Im ersten Band stehen gar nicht einmal nur die Schweine im Mittelpunkt, werden sie doch unterstützt durch einen ganzen Bauernhof durchgedrehter Tiere. Das Setting mag nicht allzu innovativ scheinen, eben die sich zunehmend abzeichnende Dezimierung und Belagerung der Hofbewohner durch ihr Nutzvieh, doch wird die Geschichte gerade auch in Hinblick auf den menschlichen Schrecken mit bedrückender Intensität vermittelt, dass man sich allzu gut in deren Leidenswege einfühlen kann. „Die Stadt“ baut dann dramaturgisch etwas ab gegenüber dem ersten Teil, doch auch hier gewinnt die Geschichte gerade durch die Vielzahl der individuellen Perspektiven an Wirkung. Das zu erwartende Blutbad kommt erst spät, und auch dann stehen doch die menschlichen Perspektiven im Mittelpunkt.
Der dritte Teil einer solchen „Schweine-Trilogie“ wird im Epilog von „Die Stadt“ zwar angekündigt, ist jedoch leider nie veröffentlicht worden – man hätte gespannt sein können. Immerhin haben wir jedoch Schwein gehabt, dass zumindest die ersten beiden Bände mehr als dreißig Jahre nach ihrem Erscheinen wiederentdeckt und nun erstmals in Deutsche übersetzt wurden. Alles in allem sind „Die Farm“ und „Die Stadt“ zusammen ein ziemlich kurzweiliges Vergnügen, schnell und flüssig weggelesen, aber durchaus unterhaltsam. Die Stärke beider Tierthriller liegt tatsächlich mehr in den psychologischen Komponenten – ein intelligent inszeniertes Zusammenspiel etlicher individueller Protagonisten, die allesamt ihr Fett wegbekommen. Nämlich durch menschenfressende Schweine, um es zu präzisieren.

Der Geist im Palast (Die Chroniken von Tilmun – Gilgamesch 2)

Der zweite Teil der Gilgamesch-Saga.

Twilight-Line Medien, 9. März 2020
96 Seiten

Taschenbuch: 6,99 €
Hardcover: 15,99 € (nur beim Verlag erhältlich)
e-book: 2,99 €

Gilgamesch, nach dem Mord an seinem Bruder Herrscher über die mächtige Stadt Uruk, Untertan des Herrschers von Kisch, wird von innerer Unruhe getrieben. Geplagt von Ängsten und Albträumen, herrscht er mit grausamer Hand. Nach dem Besuch zweier Gesandter von Kisch, die eine demütigende Forderung stellen, schmiedet dieser einen gewagten Plan, um aufzubegehren, sich loszusagen und seinen Gegner niederzuwerfen. Doch wird dies dem Willen der Götter gerecht?

Währenddessen arbeiten die Götter in einem Labor an einer neuen Generation von Soldaten, gezüchtet aus primitiven Wilden, dem Menschen nahestehend. Doch lässt sich das Wilde nicht kontrollieren und so gelingt einem dieser Wesen die Flucht. Sein Name: Enkidu.

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