Das Labyrinth des Maal Dweb

Clark Ashton Smith ist der nicht ganz vergessene Zeitgenosse von H. P. Lovecraft und Robert E. Howard aus den Zeiten der Pulp-Magazine wie Weird Tales. Sein literarisches Werk – im Laufe des letzten Jahrzehnts erstmals als sechsbändige Sammelausgabe auf Deutsch erschienen – besteht neben seiner Lyrik vor allem aus Kurzgeschichten, die alle Spielarten der Phantastik durchziehen und doch kaum irgendeiner anderen Strömung vor oder nach ihm ähneln. „Das Labyrinth des Maal Dweb“ ist hierbei der dritte Band nach Die Stadt der Singenden Flamme und „Die Grabgewölbe von Yoh-Vombis“ und enthält insgesamt 16 Geschichten. Am Ende werden diese ergänzt durch einen editorischen Kommentar zu einer jeden, der vor allem auf die Publikationsgeschichte eingeht und oft auch zugehörige Quellen aus Smiths umfangreichem Briefverkehr erschließt.
Vielleicht mehr noch als die anderen zeigt diese Sammlung Hoch und Tief von Smiths Schaffen: Obgleich mit überquellender Fantasie und sprachlichem Ausdrucksvermögen gesegnet, war dieser doch zeitlebens gezwungen, sich immer wieder den plakativeren und weniger literarischen Interessen der Leser und vor allem Herausgeber der zeitgenössischen Magazine anzupassen. Davon zeugen etwa die Geschichten „Der Flirt“ und „Etwas Neues“ – sehr kurze Texte mit eher plattem, schlüpfrigen Inhalt, die der Autor selbst zeitlebens als Mist bezeichnete. Auch sonst sind Stil und Qualität der Texte relativ wechselhaft.
Mit den meisten seiner Geschichten bewegte sich Clark Ashton Smith an der Grenze zwischen früher Science-Fiction und Fantasy, manchmal auch Horror, freilich ohne sich damit in klar umgrenzte Genres wie die klassische Gothic Fiction oder Mittelalter-Fantasy zu stellen. Gerne siedelte er seine Erzählungen auf fremden Planeten und Dimensionen an, den fernsten Abgründen von Zeit und Raum, in denen sich dann letztlich alles verbergen kann. So reist ein Protagonist in „Ein Abenteuer in der Zukunft“ Jahrtausende in der Zeit nach vorne, nur um dort eine utopische Menschheit kennen zu lernen, die sich gleichsam in einer Krise mit den Bewohnern des Mars und der Venus befindet. Gar nicht unähnlich ist „Invasion von der Venus“ – eindringlich und mit globalem Blickwinkel schildert Smith hier, wie zunehmend Bereiche der Erde von einer expansionistischen außerirdischen Spezies kolonisiert werden, und nimmt dabei das Konzept des Terraforming vorweg. Bereits in der Zukunft spielt „Die Dimension des Zufalls“, nur um die Piloten eines dortigen Weltkrieges dann auch noch in eine andere Dimension zu werfen, die allen Naturgesetzen Hohn spricht. Obwohl meist recht knapp und verdichtet erzählt, erhält jedes Abenteuer eine ganze Reihe erstaunlicher Einfälle.
Trotz innovativer Idee eine sagenhaft schlechte Geschichte ist dagegen „Der Allmächtige des Mars“: Smith schrieb diese nach einem Konzept, das aus einem Leserwettbewerb hervorgegangen war. Es beginnt mit der plötzlichen Landung eines außerirdischen Raumschiffs mitten in einem amerikanischen Stadion – eine Superintelligenz vom Mars hat beschlossen, eine Gruppe ausgewählter Menschen auf seinen Planeten einzuladen und mit ihrer überwältigenden Weisheit zu beglücken. Schon bald bilden sich unter den Menschen zwei Lager – die aufgeschlossenen Unterstützer des „Allmächtigen“ und die ewig kritischen Konservativen. Deren Charakterisierung fällt jedoch so zum Erbrechen plakativ, klischeehaft und übertrieben aus, dass die Geschichte darin manch Satire übertreffen dürfte. Die Figur des dogmatisch-ignoranten Professors, dessen Natur natürlich am Ende auf einen Großteil der Menschheit ausgedehnt wird, hätte glatt der establishmentfeindlichen Tirade eines Verschwörungstheoretikers entstammen können. Das Ende dann ist nicht nur genauso schwarzweiß-gemalt, sondern geradezu infantil-faschistoid wie die Apokalypse einer fiktiven Religion.
Dem entgegen steht die Titelgeschichte „Das Labyrinth des Maal Dweb“, hier auch direkt gefolgt von ihrer Fortsetzung „Das Wagnis des Maal Dweb“. Auf einem fremden Planeten herrscht der gleichnamige nahezu allmächtige Zauberer, der immer wieder junge Frauen in seine Burg ruft. Schließlich jedoch folgt ein junger Krieger seiner Geliebten in festem Entschluss, Maal Dweb zu töten – und sieht sich in dessen Heim einem Pandämonium von Wundern gegenüber. Hier noch am ehesten sind die Sprachgewalt und groteske Fantasie Smiths zu erahnen, die in manch anderen Geschichten künstlich gedrosselt wurden, womit „Maal Dweb“ zum Highlight faszinierender Unterhaltung wird. Im „Wagnis“ schließlich geht Maal Dweb selbst auf Wanderschaft und findet sich plötzlich als Verteidiger halbmenschlicher Pflanzenwesen gegen böse Reptiloiden wieder. Den beiden Geschichten geht in der Ausgabe zudem eine Einführung von Will Murray voraus, der insbesondere die Hintergründe der Werksgeschichte erläutert.
Auch sonst sind ferne Planeten für Smith keinesfalls vorwiegend Schauplatz klassischer Science-Fiction, sondern vielmehr Projektionsfläche reiner Fantasy – nirgendwo wird dies klarer als in „Sadastor“, wo in einer märchenhaften Handlung gar ein Dämon einen fremden Planeten bereist. Ebenso sprengt „Die Kette des Aforgomon“ jeden Kontext von Raum und Zeit: Der Schriftsteller John Milwarp wird tot in seinem Arbeitszimmer aufgefunden, anscheinend wie aus dem Nichts von glühenden Ketten verbrannt. Doch wie sich herausstellt, ist dies nur das letztendliche Ergebnis eines äonenweiten Dramas von Seelenwanderung, Liebe über den Tod hinaus und blasphemischer Magie.
Eine besondere Freude für Lovecraft-Fans stellt sicherlich „Die Rückkehr des Hexers dar“, worin prominent das Necronomicon auftaucht. Obwohl seinerseits von mehreren Magazinen abgelehnt, da viel zu schrecklich, stellt es nach heutigen Maßstäben schlichtweg eine solide, eher mittelmäßig verstörende Horrorgeschichte dar. Bezüge in eine ähnliche Richtung finden sich in „Ein Trank für die Mondgöttin“, wo Archäologen die Magie des versunkenen Pazifikreiches von Mu wieder zum Leben erwecken. Fast übertrieben wurde der innovative Stil jedoch in „Genius Loci“, das trotz ausgefeilter Sprache und maximal dichter Atmosphäre inhaltlich relativ unscharf bleibt. Schlussendlich finden sich noch eine orientalische Erzählung aus Smiths Jugend („Prinz Alcouz und der Magier“), eine dramatische Abenteuergeschichte aus Afrika („Die Venus von Azombeii“) und eine bitterböse Sozialsatire („Ein Gedichtband von Burns“).
Leider vermögen nicht alle Geschichten in „Das Labyrinth des Maal Dweb“ gänzlich zu überzeugen – manche sind unspektakulär, andere trotz faszinierender Idee eher reizlos inszeniert. Auch die kolonialistisch-rassistischen Aspekte in „Die Venus von Azombeii“ und vor allem dem Rassenkrieg in „Ein Abenteuer in der Zukunft“ hinterlassen heutzutage doch einen unangenehmen Nachgeschmack. Auf der anderen Seite aber stehen bildgewaltige Visionen exotischer Phantastik, die gleichsam grotesk und faszinierend daherkommen. Auf jeden Fall bietet der Band vielfältige Einblicke in das Werk eines zu Unrecht wenig bekannten Autors, dessen imaginäre Welten kaum eine Parallele finden.

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