„Die unter den Gräbern hausen“ ist der vierte Band der Horrorgeschichten-Ausgabe von Robert E. Howard im Festa-Verlag. Auch hier begegnet uns auf knapp über 400 Seiten wieder eine schillernde Mischung düsterer Schauergeschichten und historisch-phantastischer Heldenerzählungen voller Action und Schrecken.
Besonders stark vertreten sind in diesem Band die Abenteuer um den grimmigen Puritaner Solomon Kane, der Abenteuer im frühkolonialen Afrika erlebt. In „Blutige Schatten“, der ersten je veröffentlichten Solomon-Kane-Geschichte, jagt dieser etwa einen Räuberhäuptling über zwei Kontinente, wobei er auch zum ersten Mal auf den rätselhaften Zauberer N’Longa trifft.
Bei vier der Geschichten handelt es sich um unvollendete Fragmente, die Howard zu Lebzeiten nicht mehr fertigstellen konnte (oder wollte). Naheliegenderweise ist es ein wenig frustrierend, wenn jeweils die Handlung plötzlich abbricht und das Ende fehlt, doch in einer vollständigen Ausgabe dürfen natürlich auch diese nicht fehlen. In den Bänden 2 bis 4 der gesammelten Horrorgeschichten („Tote erinnern sich“, Der schwarze Hund des Todes und „Die unter den Gräbern hausen“) ist somit der gesamte Solomon-Kane-Zyklus enthalten.
Zumindest die Geschichten und Fragmente in dieser Sammlung folgen alle einem ähnlichen Schema, wenn Kane sich wieder und wieder barbarischer afrikanischer Stämme erwehren muss, die bei Howard offenbar wenig anderes zu tun haben, als Leute zu Ehren grausamer alter Götter niederzumetzeln. Dies jedoch nur, wenn sie nicht gerade von einer alten, unbekannten Hochkultur im Herzen des Schwarzen Kontinents unterdrückt werden – eine vergessene Kolonie von Atlantis in „Der Schädelmond“ oder eine vergessene assyrische Kolonie in „Die Kinder Asshurs“. Wobei die Atlanter und Assyrer natürlich finsteren alten Göttern samt Menschenopfern ebenfalls nicht abgeneigt sind, was sich wohl von selbst versteht. Man ahnt es: Die Solomon-Kane-Geschichten in diesem Buch zählen nicht wirklich zu Howards innovativsten Geschichten, was den Band gegenüber den anderen der Reihe etwas abfallen lässt. Immerhin in „Die Burg des Teufels“ legt sich Kane mit einem europäischen Adligen an – zu schade nur, dass das Fragment abbricht, bevor er die titelgebende Burg erreicht.
Die anderen Erzählungen dagegen sind vielseitiger: Moderne Horrorgeschichten sind mit der Titelgeschichte, „Der Nasenlose“ und „Der Dämon des Ringes“ vertreten. In „Die unter den Gräbern hausen“ wird ein Mann scheinbar von seinem verstorbenen Bruder heimgesucht und will sich mit zwei Bekannten endgültig dessen Todes versichern – mit fatalem Ausgang. Die Geschichte verarbeitet erneut das bereits mehrfach aus Volk der Finsternis bekannte Motiv einer uralten, unterirdischen Menschenrasse, hier zweifellos besonders wirksam inszeniert. Etwas unglücklich geraten ist wiederum „Der Nasenlose“: Bei dieser Geschichte um eine rätselhafte ägyptische Mumie wird die Pointe leider schon viel zu früh allzu offensichtlich angedeutet, wodurch der Spannungsbogen einiges an Intensität verliert. „Der Dämon des Ringes“ schließlich ist ein solider, kurzer Mystery-Thriller um einen Mann, dessen eigentlich liebende Ehefrau ihn mehrfach umzubringen versucht. In „Der Geist von Tom Molyneaux“ geht es um den harten Boxkampf zweier ungeschlagener Champions (mit natürlich ungewöhnlichem Ausgang) – von dem langjährigen Boxfan und Amateurboxer Robert E. Howard brillant atmosphärisch in Szene gesetzt.
Ein besonderes Highlight ist „Das Haus von Arabu“, das uns ins antike Sumer entführt, wo der reisende Held Pyrrhas sich zwischen der Vielzahl altorientalischer Götter, Dämonen und Intrigen bewähren muss. Obgleich der Handlungsbogen doch typische Motive verarbeitet und es eine Reihe kleinerer Unschärfen gibt, so beweist Howard doch hier eine beeindruckende Vertrautheit auch mit der Welt des antiken Mesopotamien (im Rahmen des zeitgenössischen Forschungsstandes), die er atmosphärisch und für eine Pulp-Geschichte recht authentisch zum Leben erweckt. Zwei weitere historische Erzählungen runden den Band ab: „Würmer der Erde“ wie auch „Der dunkle Mann“ spielen im antiken bzw. frühmittelalterlichen Britannien rund um die Heldentaten des ikonischen Piktenkönigs Bran Mak Morn und des wilden Gälen Turlogh O’Brien einige Jahrhunderte später – bekanntermaßen ein beliebtes Setting in den Geschichten Howards. Beide sind sie typische howard’sche Barbarenhelden, wie sie in dessen Werken alle Zeitalter bevölkern: Übermenschlich stark und zäh, ehrenhaft und zugleich rachsüchtig bis zum Blutrausch, dabei letztendlich immer latent depressiv.
Daran schließt folgerichtig der letzte Beitrag an: In einem umfangreichen Essay analisiert Don Herron Howards Barbarengestalten in Hinblick auf Vorbilder, Charakteristika und vor allem das Erbe, das sie als neuer Archetyp in der phantastischen Literatur antreten sollten. Ein Schwerpunkt liegt natürlich unweigerlich auf dem durch Marvel-Comics und Schwarzenegger-Verfilmungen zu Berühmtheit gelangten Conan, von dem freilich keine Geschichte im vorliegenden Band vertreten ist, doch treffen all diese Merkmale ganz genauso auf seine Geistesgefährten Bran Mak Morn, Turlogh O’Brien, Pyrrhas und andere zu – von Howards „Barbaren in tausend Gestalten“ könnte man in Anlehnung an Joseph Campbells Heldentypologie fast sprechen.
Im Gesamturteil fällt „Die unter den Gräbern hausen“ gegenüber den vorigen Bänden etwas ab, was vor allem an den allzu schematischen (und nach heutigen Standards ziemlich rassistischen) Solomon-Kane-Geschichten liegt. Denen stehen mit der gut durchdachten Titelgeschichte und der atemlosen Box-Geschichte „Der Geist von Tom Molyneaux“ allerdings auch einige Perlen gegenüber, begleitet durch zwar typische, aber spannend-atmosphärische Historien-Action wie das Babylonien-Abenteuer „Das Haus von Arabu“ und das wikingerzeitliche Barbarenepos „Der dunkle Mann“. Doch ob nun intelligenter Horror oder Pulp-Geschichten mit Handlung nach Baukastenprinzip – flüssig zu lesen sind sie doch alle und machen das Buch letztendlich zu einem unterhaltsamen Lesespaß.