Buchrezensionen

Das alte China (Theiss WissenKompakt)

Während wir mit Griechen, Römern, Ägyptern und dem europäischen Mittelalter einiges anzufangen wissen, ist die Geschichte Chinas hierzulande weitgehend unbekannt. Gerade um diese allzu totale Wissenslücke zu füllen, erwarb ich das Buch „Das alte China“ aus der WissenKompakt-Reihe im Theiss-Verlag, geschrieben von Monique Nagel-Angermann, eine kurze Gesamtdarstellung chinesischer Geschichte. In kurzen Kapiteln mit auch einigen Bildern führt das Werk den Leser vom Beginn der fassbaren Geschichte in der Shang-Dynastie (2. Jt. v. Chr.) bis zum Ende der letzten Kaiserdynastie im frühen 20. Jhd. n. Chr.. Unvermeidlich, dass eine solche Darstellung über mehr als drei Jahrtausende notwendigerweise oberflächlich bleiben muss. Trotzdem gelingt es einigermaßen, zumindest einen groben Überblick über die Epochen der Geschichte Chinas zu erhalten, was im Wesentlichen die Abfolge verschiedener Dynastien ist, ergänzt durch Ausblicke auf die jeweilige Entwicklung von Verwaltung und Religion.
Insgesamt weist das Buch jedoch – nicht nur wegen, sondern auch im Rahmen der knapp zusammenfassenden Darstellung – gewisse Schwächen auf. Was oft fehlt, sind klar erkennbare Jahreszahlen. Die Verknüpfung des dargebotenen Wissens wird auch dadurch etwas behindert, dass Geschichte und Kulturgeschichte weitgehend strikt getrennt sind und auch die paar näheren Darstellungen bedeutender Herrscher nicht in den historischen Abriss eingebunden werden, sondern diesem mitunter nachfolgen. Positiv zu bewerten sind hingegen die Sonderseiten etwa zu berühmten Werken und Gestalten der Literatur. Die Namen der Persönlichkeiten und Dynastien wirken auf zuvor nicht mit der chinesischen Kultur und Geschichte Vertraute fast notwendigerweise verwirrend, was das Verstehen und Erinnern erschwert, doch ist dem im Rahmen eines einzelnen dünnen Buches zwangsläufig kaum beizukommen – nur eine eingehendere Auseinandersetzung würde zu einem wirklichen Gedächtnis aller Dynastien, Orte und Personen führen.
Die historischen Informationen sind im Rahmen des Umfangs natürlich sehr knapp bemessen, ein jedes besondere Ereignis wird zwangsläufig nur sehr oberflächlich angeschnitten. Besonders schade ist die noch stärker verkürzte Darstellung gerade der ersten Dynastien (Shang, Zhou und die Vorgeschichte), denen zusammen gerade einmal so viel Platz eingeräumt wird wie vielleicht einer der späteren Dynastien (nämlich nur wenige Seiten). Das wirklich „alte China“ kommt also deutlich zu kurz, verglichen mit der Zeit nach der Zeitenwende. So werden auch archäologische Funde nur wenig einbezogen. Die Ur- und Frühgeschichte, d. h. alles vor der Shang-Dynastie, findet praktisch überhaupt keinen Platz – das Buch ist historisch, nicht archäologisch geprägt. Über die fachliche Qualität vermag ich mangels Vorwissen nichts auszusagen; zumindest macht alles einen seriösen Eindruck.
Im Endeffekt also ist „Das alte China“ eine wohl etwas zu kompakte Gesamtdarstellung chinesischer Geschichte, die durchaus geeignet ist, dem zuvor unwissenden Leser einen sehr groben Eindruck von dieser zu vermitteln – einen Rahmen, mit dem man fortan arbeiten kann. Für alles darüber hinaus Gehende jedoch ist das Buch nicht geeignet, da zu knapp und oberflächlich.

Mumien: Der Traum vom ewigen Leben / Mumien der Welt

Bei dem Wort Mumien denkt man immer allzu gerne nur an Ägypten. Wie eingeengt solch ein Blickwinkel ist, beweist jedoch das Buch „Mumien: Der Traum vom ewigen Leben“, das zur Begleitung einer Ausstellung (von mittlerweile mehreren) der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim entstand. Verfasst von etlichen Autoren, dabei illustriert mit unzähligen hochwertigen Farbfotos, bietet das Werk eine breite Übersicht über das ganze Phänomen Mumien weltweit – nicht als Katalog der einen Ausstellung, sondern als denkbar vielfältiges und gleichsam fundiertes Überblickswerk.
Eine Mumie ist – einfach gesagt – ein Leichnam, dessen Verfall durch bestimmte Einflüsse soweit aufgehalten wurde, dass auch nach längerer Zeit noch Weichteile erhalten sind. Und solche Fälle gibt es tatsächlich reichlich auf der Welt: Natürlich geht das Buch auf die bekannten ägyptischen Mumien ein, ihre Entwicklung, Untersuchung und Rezeption, ebenso auch auf die ägyptischen Tiermumien. Bekannt mögen daneben noch die nordeuropäischen Moorleichen oder der die Gletscherleiche Ötzi sein, die ebenfalls breit behandelt werden. Doch ist dies nur ein kleiner Teil der globalen Vielfalt von Mumien: Daneben werden auch solche der Inka und anderer Andenvölker besprochen, Mumien der Ureinwohner Ozeaniens und Australiens ebenso wie kältekonservierte Eskimo-Mumien aus Grönland, unverweste Heilige und in europäischen Grüften vertrocknete Körper wie etwa die unzähligen Trockenmumien der Kapuzinergruft von Palermo, skythische Mumien und die berühmte „Lady von Dai“ aus China, die, in einer Konservierungsflüssigkeit gelagert, trotz ihres Alters von zweitausend Jahren als besterhaltene Mumie der Welt gibt, die mumifizierten Körper buddhistischer Mönche aus Japan und China bis hin zu modernen Mumien wie Lenin, der Ausstellung „Körperwelten“ und Ambitionen der Kryonik. Die darauf folgenden Abschnitte gehen auf die Herkunft des Wortes „Mumia“ und die unselige Verarbeitung ägyptischer Mumien in der Medizin der europäischen Neuzeit ein, weitere schließlich auf die verschiedenen modernen Methoden der Mumienforschung vom Drogentest bis zur DNA-Analyse. Die Rezeption von Mumien in der Populärkultur wird anschaulich herausgestellt, im Anschluss auch die Darstellung in Sachbüchern für Kinder analysiert. Ein Panorama also, das vielleicht nicht komplett ist, aber doch so umfangreich wie nur irgend möglich und wünschenswert.
Trotz der weiten thematischen Spreizung und des populären Subjekts bewahrt das Buch durchweg hohe wissenschaftliche Standards; so wird auch an expliziten Literaturbelegen nicht gespart. Bewundernswert ist gerade die Verbindung dieses fachlichen Niveaus mit der großartigen Aufmachung samt hervorragendem Bildmaterial. Einzelne Teile – wie in meinem Falle die Geschichte von „Mumia“ in Medizin und Malerei sowie Teile der naturwissenschaftlichen Abschnitte – mögen mitunter etwas zäh sein und/oder schwer verständlich, da auf hohem fachlichen Niveau, doch der hoch spannende Rest entschädigt definitiv dafür. Wer sich nur über ägyptische Mumien informieren will, ist mit dem Buch vielleicht eher suboptimal beraten, da diese eben nur einen gewissen Teil einnehmen, womit manches natürlich ungesagt oder oberflächlich bleibt. Das gesamte globale Phänomen wie auch die allgemeinen Aspekte der Mumienforschung sind hingegen so umfangreich und anschaulich dargestellt, dass „Der Traum vom ewigen Leben“ ohne Weiteres als (wahrscheinlich) relativ konkurrenzloses Standardwerk fungieren kann.

Ein weiteres interessantes Sachbuch über Mumien trägt den Titel „Mumien der Welt“. Es entstand als direkter Begleitband für eine Mumienausstellung des Roemer- und Pelizaeusmuseums Hildesheim im Jahr 2016. Der größte Teil wird vom Katalog der Ausstellungsobjekte eingenommen, bei denen es sich natürlich um zahlreiche Mumien, aber auch damit in Verbindung stehende Objekte handelt – darunter solche aus Ägypten, aber auch ganz besonders Südamerika und anderen Erdregionen. Eine Handvoll weiterer Textbeiträge geht diesem voraus, worin in Kurzfassung auf die Geschichte der Mumienforschung und die populäre Rezeption von Mumien eingegangen wird. Das in diesem Kontext sicher wichtigste Exponat des Hildesheimer Museums ist die ägyptische Mumie des Idu II, eine der ältesten belegten Mumien mit intentionaler Mumifizierung. Dessen Auffindung und Untersuchung wird über die Darstellung im Katalogteil hinaus ein eigenes Kapitel gewidmet. Die Qualität der Beiträge ist durchweg gut, zumal von fachlichen Experten verfasst. Enttäuschen tut das Buch jedoch hinsichtlich des Umfangs: Keine 150 Seiten zählt das Werk, wobei diese im Katalogteil überwiegend nur zu einem kleinen Teil beschrieben sind, soweit nicht bereits von Bildern eingenommen. Sehr viel Sachinhalt enthält das Buch also nicht – und trotz vielen, teils auch weit gestreuten Objekten gelingt nicht wirklich ein repräsentativer Überblick über die „Mumien der Welt“. In dieser Hinsicht ist eher zu „Mumien: Der Traum vom ewigen Leben“ zu raten, das eine deutlich größere Anzahl Themen deutlich umfangreicher behandelt. Indes taugt „Mumien der Welt“ durchaus als Ergänzung zu jenem, da die Inhalte sich kaum überschneiden; besonders die Ausführungen zu Idu II sind lohnenswert.
An dem, was da ist, ist eigentlich nichts auszusetzen – durchweg wird hohe Qualität gewahrt, hinzu kommt eine großartige Bebilderung des Katalogs. In der Gesamtschau jedoch ist „Mumien der Welt“ aufgrund des geringen Umfangs doch eher eine hochwertig aufgemachte Broschüre, die nur einen oberflächlichen Einblick zu geben vermag.

Vampir 1: Die Geburt des Bösen

Unter dem Label „Vampir“ brachte der Zaubermond-Verlag eine Vielzahl von Romanen und Novellen der dunklen Phantastik heraus. Mit Vampiren hat die Reihe indes wenig zu tun – der Inhalt erstreckt sich über das gesamte Spektrum „Grusel, Horror, Mystery“, und zumindest im ersten Band kam auch kein Vampir vor.
Dieser trägt den Titel „Die Geburt des Bösen“ und enthält fünf Novellen, die zusammen einen Umfang von nicht ganz 450 Seiten ergeben. Ein jeder Abschnitt stammt dabei von einem anderen Autor. Die erste Erzählung „Der Orden der Raben“ von Jo Zybell dreht sich um eine unschöne Mordserie durch einen neukeltischen Geheimbund, der natürlich zu Raben in ganz besonderes Verhältnis hat. Zu Gunsten einer mehr Krimi-orientierten Inszenierung wird auf plastische Darstellungen von Gewalt und Phantastik eher verzichtet, diese meist eher angedeutet. Die Titelgeschichte „Die Geburt des Bösen“ handelt ebenfalls von einem bösartigen Geheimbund, nun jedoch mit mehr parapsychologischen Vorzeichen. In „Die Drachenpest“ von Werner Giesa wird ein römisches Schiff geborgen, auf dem ein dämonischer Fluch liegt. „Schattenkinder“ von Manfred Weinland begibt sich in den Kreis dreier Brüder, von denen der eine schon bei der Geburt verstorben war – wie es schien. Dan Shockers „Schreckensnacht auf Burg Frankenstein“ schließlich lässt Frankensteins Monster in einer alten Burgruine wieder zum Leben erwachen – eine eher plumpe Darstellung, die sich weniger an Mary Shelleys Roman als vielmehr den Klischees der frühen Verfilmungen orientiert (so wird in allzu trashiger Tradition fälschlich auch das Monster selbst – und nicht nur sein Schöpfer – als Frankenstein bezeichnet). Gleich mehrere Geschichten begründen mit der Einführung ihrer Protagonisten Serien, die in den folgenden Teilen der Reihe fortgesetzt werden.
Zwar sind alle fünf Geschichten eher kurz, aber doch nicht unbedingt hektisch, sondern durchaus ausladend inszeniert. Letztlich will bei keiner von ihnen wirklich große Spannung aufkommen – weder wirkliche Rätsel und Geheimnisse mit unerwarteten Wendungen, noch allzu packende Action, Horror oder Phantastik treten auf. So ist auch das Genre letztlich nicht als Horror, sondern eher nur Mystery zu bezeichnen – unter Beteiligung finsterer Themen, doch nicht wirklich schockierend oder aufwühlend. Weitgehend lässt sich das Buch zwar ganz gut und recht flüssig lesen (nur die erste Geschichte zieht sich etwas), letztlich aber bleibt es doch eher reizlos. Es handelt sich eben um eine Zusammenstellung ziemlich beliebiger Heftromane, die zwar in jeder Hinsicht solide und lesbar sind, aber weder durch Thema noch Stil aufzutrumpfen vermögen.

Die Gabel, die Hexe und der Wurm

Fast acht Jahre ist es nunmehr her, dass Christopher Paolini mit „Das Erbe der Macht“ seine Bestsellerreihe „Eragon“ zum Abschluss brachte – so schien es. Nun aber erschien unvermittelt der Fortsetzungsband „Die Gabel, die Hexe und der Wurm“, nach langer Stille endlich wieder ein Werk aus der phantastischen Welt Alagaësia. Allerdings handelt es sich nicht um einen regulären fünften Teil der Romanreihe (den Paolini tatsächlich schon ankündigte, auch wenn darauf noch lange zu warten sein dürfte), sondern um einen kurzen Band von drei Kurzgeschichten, die mehr oder minder flüssig durch eine Rahmenhandlung verbunden sind. So liegt sofort die Vermutung auf der Hand, hier werde nur mit einem minderwertigen Produkt Kapital aus einem erfolgreichen Franchise geschlagen (Man könnte diesem Phänomen den Namen „Rowling-Syndrom“ geben). Diese Vermutung zerschlägt sich beim Lesen nur insofern, dass sie zur Gewissheit wird.
Schon der Beginn löst die seit dem Ende des vierten Bandes offenstehende Frage auf, was nach seinem großen Sieg über Galbatorix aus Drachenreiter Eragon wurde – nunmehr hat er einen Berg irgendwo in weiter Ferne zu seiner Residenz erklärt und ist angestrengt dabei, diesen zu einem zukunftsträchtigen Stützpunkt für eine neue Generation von Drachenreitern auszubauen. Die erste eingeschobene Geschichte führt uns dann zu Murtagh, dessen Schicksal mit weit größerer Spannung erwartet worden sein dürfte als das des Titelhelden. Der gerät in einem Wirtshaus in einen Konflikt, stößt auf ein altes Geheimnis und … das war’s. Was als vielversprechender Anfang einer neuen Fantasy-Geschichte beginnt, bleibt genau das: Der spannende Anfang eines hypothetischen Romans, der erst noch geschrieben werden muss. Weniger Fragen lässt dagegen die zweite Geschichte offen, die genau genommen keine Kurzgeschichte im eigentlichen Sinne ist, sondern eigentlich nur in wenigen Szenen auf das Schicksal von Kräuterhexe Angela und Wunderkind Elva eingeht – nett zu wissen, ein willkommener Exkurs irgendwo im zweiten Drittel eines 500-Seiten-Romans, als eigene Geschichte aber nicht recht tragfähig. Als einzige in sich vollständig wirkt schließlich die dritte Geschichte – die lebendige Schilderung des Konflikts eines Urgal-Stammes mit einem wilden Drachen irgendwann in grauer Vorzeit. Das ergibt letztlich eine solide Fantasy-Erzählung, natürlich mit ein paar alten Klischees beladen, aber interessant durch die neue Urgal-Perspektive.
Magere 304 Seiten hat das Werk, doch ist dies mehr Schein als Sein: Schriftgröße, Zeilenabstand und Seitenränder machen „Die Gabel, die Hexe und der Wurm“ zu einem der größten Seitenschinder, die mir bislang untergekommen sind, die Textdichte dürfte der eines durchschnittlichen Comics entsprechen. Was also für 18€ als Hardcover verkauft wird, ist de facto nicht mehr als ein Appetithäppchen von Broschürenformat – gut geeignet, Lust auf einen kommenden Roman zu wecken, nicht wirklich angemessen indes als eigenständiges Werk. (Man will an dieser Stelle nur bemerken, dass Markus Heitz seine „Doors“-Reihe mit einer wahrscheinlich ebenso umfangreichen Pilotfolge als KOSTENLOSES e-book beginnen ließ.) Deprimierend ist dieses Ansinnen auch angesichts der Gewissheit, dass Christopher Paolini in Sachen Schreibeffizienz weniger Autoren wie Heitz, als vielmehr George R. R. Martin nacheifert …
Unterhaltsam ist das Buch schon, daran ist nichts auszusetzen, und man kann den Autor absolut verstehen, diese paar Geschichten verfasst zu haben, auch ganz aus kreativer statt monetärer Motivation. Zumindest während der kurzen Zeit des Lesens werden eingefleischte Fans der Reihe wahrscheinlich eine gewisse Freude an dem Werk empfinden. Als ganzes neues Buch herauszugeben, was letztlich nicht mehr ist als eine durchschnittliche Fantasyerzählung nebst ein paar Vorausblicken auf eine vielleicht irgendwann einmal erscheinende Fortsetzung, unter normalen Umständen Stoff für entweder ein kurzes e-book oder ein Viertel einer richtigen Geschichtensammlung, ist indes eine verlegerische Unverschämtheit. Und als wolle der Verlag seine dumm-treuen Stammleser noch weiter ärgern, hat das Hardcover (!) noch nicht einmal dasselbe Format wie die bisher erschienenen Teile der Reihe, auf dass es im Regal fortan stets als das erscheine, was es ist: Ein zweitklassiger Appendix, der ungeliebte kleine Bruder einer einst großartigen Fantasy-Reihe.

Biblische Archäologie: Von Genezareth bis Qumran

Biblische Archäologie. Darunter versteht man nicht zwangsläufig Archäologie mit der Bibel in der Hand, sondern ganz allgemein die Archäologie des „Heiligen Landes“, Israel-Palästinas. Auch wenn die natürlich allzu häufig von der Bestrebung getrieben war, die Berichte der Bibel zu beweisen oder – seltener – zu widerlegen. Eine kurze Einführung in diese interessante altertumskundliche Disziplin versucht Eric H. Cline mit dem Werk „Biblische Archäologie: Von Genezareth bis Qumran“ zu geben. Der deutsche Untertitel ist indes irreführend – im Original hieß dieser „A Very Short Introduction“, was den Nagel bei kaum 200 Seiten eher auf den Kopf trifft.
Im ersten Teil des Buches wird die Geschichte des Faches dargeboten, von ihren Anfängen im 19. Jahrhundert bis zu den Tendenzen der Gegenwart – eine Geschichte nicht nur der bloßen Entdeckungen, sondern auch der sich wandelnden Forschungsmentalitäten. Der zweite Teil dann gilt einer Reihe von Schlaglichtern mit spezifischem Bezug zur Bibel, die der Autor möglichst allgemeinverständlich zu erklären versucht: Die Rollen von Qumran, der herodianische Tempel, ein paar jüngere Fundstücke zweifelhafter Authentizität …
Sofort zu Anfang grenzt sich Cline ab von all jenen pseudowissenschaftlichen Bestrebungen, medienwirksam archäologische Beweise für biblische Geschichten aufzuspüren, so etwa die regelmäßigen Funde der Arche Noah an verschiedenen Orten. Diese Haltung akademischer Seriosität zieht sich durch das gesamte Büchlein – und versagt doch. Auffällig ist nämlich die trotz allem recht bibelnahe Ausrichtung des Autors, die immer wieder mal mehr, mal weniger dezent durchscheint. Am Ende eines Kapitels wird etwa resümierend bemerkt, dass die archäologischen Funde die Bibel in keinem Punkt widerlegt hätten – ein Widerspruch sogar zu den vorigen eigenen Aussagen, wenn es etwa um Jericho geht, das zur Zeit der angeblichen Eroberung durch Josua nicht einmal besiedelt war. Auch an anderer Stelle wird gerne einmal von Funden berichtet, die zu der biblischen Darstellung passen, und daraus dann die Authentizität der entsprechenden Geschichten in ihrer Gänze (d.h. auch anderen Details) erschlossen. Überhaupt hält sich die Darstellung der Geschichte Israels eng an der traditionellen, von der Bibel vorgegebenen und auch in der Forschung weithin rezipierten Darstellung – die doch bisweilen mehr als zweifelhaft ist. So wird die mehr als unsichere Existenz des davidisch-salomonischen Großreiches vor der Teilung in Israel und Juda auch ohne unabhängige archäologische Belege selbstverständlich vorausgesetzt und, fataler noch, auch das längst zweifelhafte, ja eher widerlegte Konzept einer schon uranfänglichen Teilung der Bevölkerung in Israeliten und Kanaanäer an keiner Stelle hinterfragt (vielmehr in einer Tabelle zur historischen Übersicht ohne weiteren Kommentar abgedruckt). Tatsächlich aber dürfte sich die spezifisch israelitische Identität (mitsamt Monotheismus, Kultzentralisation und vor allem der „Auserwähltes-Volk-Mentalität“) erst nach und nach, wahrscheinlich erst in einer viel späteren Epoche herausgebildet haben – historisch fassen lassen tun sich diese Phänomene nämlich nicht vor der hellenistischen Zeit. Diese letztlich so unkritische, ja sachlich zweifelhafte bis falsche Darstellung ist umso gefährlicher, da sie in so harmlosem, wissenschaftlich-akademischem Gewand daherkommt. Eine direkte religiös-ideologische Motivation muss dabei gar nicht unbedingt vermutet werden, sind derartige Überzeugungen doch selbst in der (ganz besonders amerikanischen) Forschung weithin unhinterfragt etabliert (was sie nicht richtiger macht).
Dem entgegen stehen im vorliegenden Buch natürlich viele interessante Informationen zur Forschungsgeschichte und einigen ausgewählten Schwerpunkten. Als kurze Einführung in die biblische Archäologie taugt die „Very Short Introduction“ trotzdem nicht. Wird auch die Forschungsgeschichte solide wiedergegeben, so fehlen doch weitere Darstellungen zu den wichtigsten Fundstellen und Funden weitgehend. Cline scheint das Thema in der Tat auf den so populären Part mit der Bibel reduziert zu haben und konzentriert sich weitgehend darauf, ohne einen Überblick über die archäologische Landschaft als solche anzustreben. Niemand verlangt eine detaillierte Typologie der Keramikformen jeder Epoche, doch zumindest Pläne und Vorstellungen einiger exemplarischer Fundstellen und eine größere Anzahl Bilder der dortigen Funde wäre durchaus zu erwarten gewesen. Zwar mag Eric H. Cline ein renommierter Wissenschaftler sein, doch scheitert sein Werk doch an der Schwerpunktsetzung, die sich trotz so häufiger Distanzierungen nicht nennenswert über Terra-X-Niveau erhebt – populärwissenschaftlich, fachlich oberflächlich und ohne Tiefgang.

Margiana: Ein Königreich der Bronzezeit in Turkmenistan

Die alte Margiana, auch als Oxus-Zivilisation bekannt – nicht gerade einer jener frühen Hochkulturen, die im allgemeinen Bewusstsein sonderlich verankert sind. Doch nichtsdestotrotz beeindruckend und zu Unrecht kaum bekannt: Bereits im 3. Jahrtausend vor Christus entstanden im heutigen Turkmenistan gewaltige Städte mit quadratischen Plänen und mächtigen Mauern, mit Abwasserleitungen aus Ton und prächtig ausgestatteten Königsgräbern, die allesamt in den letzten Jahrzehnten ergraben wurden. Dieser faszinierenden Zivilisation und ihrer mangelnden Bekanntheit trägt die Ausstellung „Margiana – Ein Königreich der Bronzezeit in Turkmenistan“ Rechnung, die erst in Berlin und Hamburg, in Kürze auch in Mannheim zahlreiche Originalfunde der deutschen Öffentlichkeit präsentiert. Nicht nur die Ausstellung selbst ist empfehlenswert, sondern auch der dazugehörige Katalog selben Namens.
Ein guter Teil des ersten Viertels ist dabei zunächst der Vorstellung des Landes Turkmenistan und seiner großen Museen gewidmet – der schwächste Teil. Man merkt stark die charakteristischen Komplexe einer noch jungen Republik, die auf ihrer Suche nach Identität noch dabei ist, das eigene archäologische Erbe zu erschließen und zu vereinnahmen – ein Stadium, das schon viele Länder durchgemacht haben, das unsere eingeschlossen. In unseren Augen kurios ist etwa, wenn in einem Beitrag der turkmenische Staatschef mehrfach charakteristisch als der „geschätzte Präsident“ bezeichnet wird und auch sonst oft von „dem turkmenischen Volk“ und seinen Traditionen gesprochen wird. Ja, letztlich handelt es sich bei einem Teil des Werkes deutlich um turkmenische Nationalpropaganda – doch das vermag die Qualität des archäologischen Teils nur wenig zu tangieren. Im Anschluss folgt ein anschauliches Panorama der Erforschung und der Funde der Margiana, reich bebildert und gut geschrieben. Man erfährt einiges über die gefundenen Städte und ihren Aufbau, die Kunst in Form faszinierender Siegel und Figurinen, die beeindruckenden Funde der Königsgräber (z.B. ganze Wagen und bis zu zwei Meter lange Steinstäbe), nicht zuletzt die Einbettung der Oxus-Zivilisation in ein weites Handelsnetz, was etwa gefundene Roll- und Stempelsiegel aus Mesopotamien und der Indus-Kultur belegen.
Die zweite Hälfte wird vom Katalog der Objekte eingenommen, die in der Ausstellung gezeigt wurden – vollständig, in hervorragenden Fotos präsentiert, ein jedes noch eingehender erläutert. Abgerundet wird der Band durch eine Reihe großartiger Fotografien, die die renommierte Fotografin Herlinde Koelbl im Zuge der Ausstellungsvorbereitung in Turkmenistan von Land und Leuten machte.
All das macht „Margiana – Ein Königreich der Bronzezeit in Turkmenistan“ zu einem gleichsam fachlich wie technisch hochwertigen Panorama einer mehr als zu Unrecht vergessenen Hochkultur, wahrscheinlich bis auf Weiteres die einzige solche Publikation auf dem deutschen Markt.

Die Himmelsscheibe von Nebra

Sie ist wahrscheinlich der prominenteste Fund deutscher Archäologie der letzten Jahrzehnte: Die sogenannte „Himmelsscheibe von Nebra“. Nicht nur das beeindruckende Objekt selbst und die effektive Vermarktung haben zu ihrem Ruhm beigetragen, sondern nicht zuletzt die spektakuläre Auffindungsgeschichte, die ohne Weiteres ein literarischer Thriller hätte sein können. Unter dem unmissverständlichen Titel „Die Himmelsscheibe von Nebra: Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas“ hat nunmehr Harald Meller, „Finder“, Verwahrer und Vermarkter der Himmelsscheibe, zusammen mit Kai Michel eine massentaugliche Monographie darüber verfasst.
Der erste Teil des Werkes ist der Himmelsscheibe selbst gewidmet: Die Geschichte ihrer Auffindung und Sicherstellung aus dem Raubhandel, allzu literarisch und damit außerordentlich packend und spannend erzählt, dann die Ergebnisse der zahlreichen daran durchgeführten Untersuchungen – nicht zuletzt, um vor Gericht die Echtheit und Bedeutung des Stückes zu beweisen – und schließlich auch die astronomische Interpretation. Letztere ist natürlich ein hochumstrittenes Thema, doch abseits der zahlreichen pseudowissenschaftlichen Erklärungsversuche scheint jene Deutung, die auch Meller & Co. präferieren, absolut plausibel. Im Anschluss an die Himmelsscheibe selbst werden weitere beeindruckende Fundkomplexe der sogenannten Aunjetitzer Kultur (v. a. mehrere Fürstengräber in Grabhügeln sowie Hortfunde) beschrieben, hochinteressant gleichsam die Funde, ihre Interpretation und die anschaulich dargestellte Forschungsgeschichte. Aus alldem (und weiteren Argumenten) schließt Meller die Existenz eines Königreiches schon in jener frühen Bronzezeit, das von einer mehrere Jahrzehnte währenden Dynastie geführt wurde. Vermutlich dürfte es dieser Punkt sein, an dem sich die übrige Fachwelt am ehesten reiben wird: Inwieweit die Belege ausreichen, ein wohlsituiertes Fürstentum, das zweifellos existiert hat, als „Königreich“ von größeren Ausmaßen zu deuten, mag zumindest zweifelhaft sein. So ist doch Harald Meller, selbst Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt, auch aus anderen Forschungen bekannt für teils sehr spektakuläre Entdeckungen, deren Interpretation nicht immer ganz so eindeutig ist wie behauptet (z.B. die allzu detailliert „rekonstruierten“ „Ehrenmorde“ von Eulau).
Den teils recht sensationalistischen Charakter merkt man dem Buch bisweilen auch an, gerade in Bezug auf die Sicherstellung der Himmelsscheibe, die Rekonstruktion des mutmaßlichen Königreiches und die Spekulationen zur Herkunft des Objekts. All dies muss nicht falsch sein, ja ist in weiten Teilen durchaus plausibel, doch vielleicht manchmal etwas zu pathetisch aufbereitet – wobei gerade dies bisweilen durchaus ironisch erscheint. Oft hat man als Leser auch das Gefühl, der Ur- und Frühgeschichtler Meller leide als solcher unter gewissen Komplexen angesichts der frühen Hochkulturen in anderen Kulturkreisen (z.B. Mesopotamien), denen eine zwar nicht gleichartige, aber doch respektable „Alternative“ gegenübergestellt werden soll.
All dies vermag jedoch nicht über ein letztlich sehr informatives populärwissenschaftliches Sachbuch über eine hochinteressante Kultur der europäischen Bronzezeit mit ihren beeindruckenden Hinterlassenschaften hinwegzutäuschen. Besonders ist die anschauliche Kombination von Funden und Forschungsgeschichte zu loben, gerade auch bei den Aunjetitzer Fürstengräbern. Was hingegen eher fehlt, ist eine Darstellung der weniger spektakulären Fundstellen der Aunjetitzer Kultur: Siedlungen und Gräberfelder, gibt es so etwas überhaupt? Obgleich ansonsten sehr informativ und anschaulich, bleibt so doch ein nicht unwesentlicher Teil jener Kultur im Dunkeln, worüber man gerne mehr erfahren hätte. Wie jede auf den ersten Blick sensationelle Publikation der Archäologie sollte man auch „Die Himmelsscheibe von Nebra“ unbedingt kritisch lesen, doch lohnen tut sich die Lektüre auf jeden Fall.

Wurde Amerika in der Antike entdeckt?

„Wurde Amerika in der Antike entdeckt?“ Der Name des Buches von Hans Giffhorn deutet bereits eine weitere jener längst zahlreichen Theorien zu präkolumbischen Kontakten zwischen alter und neuer Welt an, die letztlich seit Kolumbus‘ (Wieder)Entdeckung, vor allem aber seit dem 19. Jahrhundert blühen. Der Großteil besagter Theorien ist längst entweder widerlegt oder wies von Anfang an zu wenig konkrete Belege auf, als dass man sie widerlegen könnte. Anders bei Giffhorn: Bei ihm waren es ausnahmsweise nicht Ägypter, Phönizier oder gar die verlorenen zehn Stämme Israels, sondern iberische Kelten des zweiten Jahrhunderts vor Christus, womöglich gemeinsam mit den letzten Karthagern und Ureinwohnern Mallorcas, die bereits über tausend Jahre vor den Wikingern den Atlantik überquert haben sollen, um im Andengebiet die Zivilisation der Chachapoya zu begründen. Was wie eine weitere pseudowissenschaftliche These klingt, stellt sich tatsächlich als wohlfundierte Theorie heraus. Das sieht man nicht allein am Mann Hans Giffhorn, Professor für Kulturwissenschaften, oder dem angesehenen C. H. Beck-Verlag (der immerhin auch schon die weniger seriösen Bücher eines Harald Haarmann herausbrachte …), sondern schlichtweg am Inhalt:
Stück für Stück werden die Belege dargelegt, die für einen – und zwar nur diesen – Kontakt sprechen: Neben wirklich markanten und sogar in Details spezifischen Kulturparallelen (fast identische Häuser, Steinschleudern, Schädeltrepanationen etc.) etwa der Nachweis von Tuberkulose in zahlreichen Mumien der Chachapoya (eigentlich eine Alte-Welt-Krankheit, soweit bisher bekannt), eine keltisch erscheinende Messingaxt im brasilianischen Regenwald (tatsächlich von richtigen Wissenschaftlern untersucht und datiert), an die iberische Schrift erinnernde Felszeichnungen in Brasilien, ein Bericht über die Entdeckung eines Landes im Westen durch die Karthager bei Diodor und nicht zuletzt das auffällige Vorkommen hellhäutiger, dabei rot- oder braunhaariger Menschen in abgelegenen Populationen peruanischer Ureinwohner ohne Kontakt zu Europäern – und gleichsam DNA-Tests, die die Herkunft der entsprechenden Gene aus der alten Welt, mit hoher Wahrscheinlichkeit gar Nordspanien belegen.
Es ist nicht die Art Argumente, die man von Grenzwissenschaftlern gewohnt ist – nicht vordergründig spektakuläre Einzelfunde mit unklarem Fundkontext, nicht vage Parallelen, die genauso gut durch Zufall zu erklären wären. Gerade die Messingaxt macht diesen Unterschied deutlich – obwohl, wenn authentisch, ein allzu schlagkräftiger Beweis, verlässt sich Giffhorn nicht darauf, sondern argumentiert so weiter, als gäbe es sie nicht. Bei all seinen Beweismitteln wird nicht gegen, sondern in Zusammenarbeit mit entsprechenden Fachexperten der jeweiligen Wissenschaften gearbeitet; statt einschlägigem Wissenschaftler-Bashing vielmehr differenziert auf bestehende Probleme in den etablierten Theorien und Machtstrukturen hingewiesen. Der Stil ist dabei sachlich und systematisch, nicht sensationalistisch oder nicht stringent wie bei „unkonventionellen“ Theorien oft zu beobachten, immer bedacht auch auf Hinterfragung der eigenen Schlüsse und ihre Absicherung durch alle denkbaren Studien. (Es muss ein herber Schlag für alle Autoren der sogenannten „alternativen Archäologie“ sein, diese Erkenntnis, dass man derartige Theorien tatsächlich auch nach wissenschaftlichen Standards vorbringen kann.)
In der zweiten Hälfte des Buches wird ein hypothetisches Szenario entworfen, wie die Auswanderung der Kelten und Karthager abgelaufen sein könnte. Bei alledem bleibt Giffhorn, obgleich er viele Leser bereits überzeugt haben dürfte, noch immer so vorsichtig, von einer Theorie zu sprechen, auf der weitere Forschungen aufbauen können und sollten, nicht etwa von der längst bewiesenen Wahrheit.
Trotz allgemein kritischer Grundeinstellung (siehe meine anderen Rezensionen) vermochte ich weder mit gesundem Menschenverstand, noch mit Fachwissen oder einer Internetsuche nach Gegendarstellungen plausible Einwände finden, die die vorgebrachte Theorie, ihre Belege oder die Methode der Beweisführung entkräften würden. Die offenkundige Zusammenarbeit des Autors mit zahlreichen anerkannten Experten lässt auch die – niemals leichtfertig zu postulierende, aber immer in Betracht zu ziehende – Möglichkeit schlichter Lügen und Falschinformationen unwahrscheinlich erscheinen. Man kann im Endeffekt nur hoffen, dass in Zukunft endlich weitere, dann umfangreiche und offizielle Forschungen sich der Thematik annehmen. Denn „Wurde Amerika in der Antike entdeckt?“ ist eben kein Teil der Grenz- und Pseudowissenschaft, die das Thema präkolumbische Amerika-Kontakte seit langem für sich gepachtet haben, sondern schlichtweg Wissenschaft über eine unkonventionelle Theorie, der bis auf Weiteres nur die wohl gehegten Traditionen unseres Geschichtsbildes im Wege stehen.

Zipfelmützengötter

Was der ungewöhnliche Titel „Zipfelmützengötter“ von Petrus van der Let verspricht, klingt erst einmal interessant: Eine über zahlreiche Kulturen hinweg fassbare Tradition von Kindsgottgestalten, die vor allem immer wieder durch ihre Zipfelmützen auffallen – und das ganze noch eingebettet in eine psychologische Erklärung für die Religion als solche. Im Endeffekt ist das Buch, keine zweihundert Seiten lang, recht gut lesbar, aber doch eine ziemliche Enttäuschung.
Die Grundprämisse, ganz zu Beginn vorgestellt, ist folgende: Viele unserer Mythen, die ja auch auf der ganzen Welt ähnliche Züge aufweisen, wurzeln tatsächlich in den ebenso parallelen Erlebnissen im Säuglingsalter, das noch durch eine ganz spezifische Art der Wahrnehmung geprägt ist – so vermögen Babys etwa noch nichts in größerer Entfernung wahrzunehmen. Die Parallelen zu manchen tatsächlichen Mythen klingen dann auch fast recht plausibel. Doch sind derartige Ansätze schon a priori mit Vorsicht zu genießen: Der genaue Wirkzusammenhang zwischen kindlicher Erfahrung und Mythenbildung ist nicht nur nicht nachgewiesen; es fehlt auch an einem plausiblen Kausalitätskonzept, so naheliegend die bloßen Parallelen im Ergebnis auch wirken mögen. Angesichts dieser Abseitsstellung von jeglicher empirischer Beweisführung sind derartige Theorien folglich auch weder be- noch widerlegbar, ergo nicht mehr so wirklich wissenschaftlich. Denkbar sind solche Beziehungen durchaus, auszuschließen keineswegs – doch müsste zunächst die Methodik eines Nachweises entwickelt werden, um die Theorie der (Beinahe-)Esoterik zu entreißen.
Doch zurück zum Buch – das nämlich kommt nach der Einleitung tatsächlich kaum noch auf jenes Grundthema zurück. Vielmehr werden in mehr oder weniger assoziativer Aneinanderreihung zahlreiche mythische, mehr aber noch historische Themen aus verschiedenen Zeitaltern erläutert, die alle einen vagen – und die Betonung liegt auf „vagen“ – Bezug zu Zipfelmützen haben. Angefangen bei der Geschichte des Gottes Mithra – also erst ziemlich spät, den gesamten alten Orient trotz umfangreichen Potenzials ausklammernd – geht es weiter durch die gesamte europäische Geschichte bis hin zu den Jakobinern der Französischen Revolution, den protofaschistischen Fantasien eines Jörg Lanz von Liebenfels und dem Ku-Klux-Clan … weil die auch alle mal irgendwie Zipfelmützen trugen. Zumindest zeitweise. Manchmal. Die ursprüngliche Hypothese, die sich ja schon qua Klappentext eher auf Mythen zu beziehen schien, gerät dabei ziemlich aus dem Blickfeld. Die einzelnen Abschnitte sind dann schließlich auch oft extrem wertend, ja bestehen mitunter aus einer schon voyeuristisch zu nennenden Ausschlachtung verschiedener historischer Übel. Das Ganze geschieht zwar aus einer religions- und faschismusfeindlichen Perspektive, der ich mich ideologisch anzuschließen vermag, doch in einem Sachbuch mit eigentlich anderem Thema hat es in dieser Form trotzdem wenig zu suchen. Was die sachliche Richtigkeit der Informationen angeht, scheint ein Großteil recht solide (vielleicht nur mangels besserer Kenntnisse des Lesers?) – mehr als pseudowissenschaftlich kommt indes die kurze Erwähnung des Diskos von Phaistos relativ am Anfang daher, der ganz selbstverständlich als mittlerweile übersetzt präsentiert wird – diametral entgegengesetzt zum tatsächlichen Faktum eines archäologischen Rätsels, an dem sich schon Generationen von Forschern die Zähne ausgebissen haben.
Am Ende fragt man sich also, was das Buch eigentlich bezwecken wollte. Vom Hauptthema wurde schon ziemlich schnell abgewichen, nur um dann mehr oder minder informativ ein Reihe relativ willkürlich ausgewählter Episoden der Geschichte etwas näher darzustellen, was sporadisch mitunter durchaus lehrreich sein kann (wenn sich dahinter nicht noch weitere große Fehler wie beim Diskos von Phaistos verbergen), aber nicht wirklich größeren Kontext hat. Was es dann am Ende tatsächlich mit den „Zipfelmützengöttern“ auf sich hat, darf der Leser sich nach einer nur geringen Zahl wirklicher Beispiele fortan selbst erschließen.