Bei dem Wort Mumien denkt man immer allzu gerne nur an Ägypten. Wie eingeengt solch ein Blickwinkel ist, beweist jedoch das Buch „Mumien: Der Traum vom ewigen Leben“, das zur Begleitung einer Ausstellung (von mittlerweile mehreren) der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim entstand. Verfasst von etlichen Autoren, dabei illustriert mit unzähligen hochwertigen Farbfotos, bietet das Werk eine breite Übersicht über das ganze Phänomen Mumien weltweit – nicht als Katalog der einen Ausstellung, sondern als denkbar vielfältiges und gleichsam fundiertes Überblickswerk.
Eine Mumie ist – einfach gesagt – ein Leichnam, dessen Verfall durch bestimmte Einflüsse soweit aufgehalten wurde, dass auch nach längerer Zeit noch Weichteile erhalten sind. Und solche Fälle gibt es tatsächlich reichlich auf der Welt: Natürlich geht das Buch auf die bekannten ägyptischen Mumien ein, ihre Entwicklung, Untersuchung und Rezeption, ebenso auch auf die ägyptischen Tiermumien. Bekannt mögen daneben noch die nordeuropäischen Moorleichen oder der die Gletscherleiche Ötzi sein, die ebenfalls breit behandelt werden. Doch ist dies nur ein kleiner Teil der globalen Vielfalt von Mumien: Daneben werden auch solche der Inka und anderer Andenvölker besprochen, Mumien der Ureinwohner Ozeaniens und Australiens ebenso wie kältekonservierte Eskimo-Mumien aus Grönland, unverweste Heilige und in europäischen Grüften vertrocknete Körper wie etwa die unzähligen Trockenmumien der Kapuzinergruft von Palermo, skythische Mumien und die berühmte „Lady von Dai“ aus China, die, in einer Konservierungsflüssigkeit gelagert, trotz ihres Alters von zweitausend Jahren als besterhaltene Mumie der Welt gibt, die mumifizierten Körper buddhistischer Mönche aus Japan und China bis hin zu modernen Mumien wie Lenin, der Ausstellung „Körperwelten“ und Ambitionen der Kryonik. Die darauf folgenden Abschnitte gehen auf die Herkunft des Wortes „Mumia“ und die unselige Verarbeitung ägyptischer Mumien in der Medizin der europäischen Neuzeit ein, weitere schließlich auf die verschiedenen modernen Methoden der Mumienforschung vom Drogentest bis zur DNA-Analyse. Die Rezeption von Mumien in der Populärkultur wird anschaulich herausgestellt, im Anschluss auch die Darstellung in Sachbüchern für Kinder analysiert. Ein Panorama also, das vielleicht nicht komplett ist, aber doch so umfangreich wie nur irgend möglich und wünschenswert.
Trotz der weiten thematischen Spreizung und des populären Subjekts bewahrt das Buch durchweg hohe wissenschaftliche Standards; so wird auch an expliziten Literaturbelegen nicht gespart. Bewundernswert ist gerade die Verbindung dieses fachlichen Niveaus mit der großartigen Aufmachung samt hervorragendem Bildmaterial. Einzelne Teile – wie in meinem Falle die Geschichte von „Mumia“ in Medizin und Malerei sowie Teile der naturwissenschaftlichen Abschnitte – mögen mitunter etwas zäh sein und/oder schwer verständlich, da auf hohem fachlichen Niveau, doch der hoch spannende Rest entschädigt definitiv dafür. Wer sich nur über ägyptische Mumien informieren will, ist mit dem Buch vielleicht eher suboptimal beraten, da diese eben nur einen gewissen Teil einnehmen, womit manches natürlich ungesagt oder oberflächlich bleibt. Das gesamte globale Phänomen wie auch die allgemeinen Aspekte der Mumienforschung sind hingegen so umfangreich und anschaulich dargestellt, dass „Der Traum vom ewigen Leben“ ohne Weiteres als (wahrscheinlich) relativ konkurrenzloses Standardwerk fungieren kann.
Ein weiteres interessantes Sachbuch über Mumien trägt den Titel „Mumien der Welt“. Es entstand als direkter Begleitband für eine Mumienausstellung des Roemer- und Pelizaeusmuseums Hildesheim im Jahr 2016. Der größte Teil wird vom Katalog der Ausstellungsobjekte eingenommen, bei denen es sich natürlich um zahlreiche Mumien, aber auch damit in Verbindung stehende Objekte handelt – darunter solche aus Ägypten, aber auch ganz besonders Südamerika und anderen Erdregionen. Eine Handvoll weiterer Textbeiträge geht diesem voraus, worin in Kurzfassung auf die Geschichte der Mumienforschung und die populäre Rezeption von Mumien eingegangen wird. Das in diesem Kontext sicher wichtigste Exponat des Hildesheimer Museums ist die ägyptische Mumie des Idu II, eine der ältesten belegten Mumien mit intentionaler Mumifizierung. Dessen Auffindung und Untersuchung wird über die Darstellung im Katalogteil hinaus ein eigenes Kapitel gewidmet. Die Qualität der Beiträge ist durchweg gut, zumal von fachlichen Experten verfasst. Enttäuschen tut das Buch jedoch hinsichtlich des Umfangs: Keine 150 Seiten zählt das Werk, wobei diese im Katalogteil überwiegend nur zu einem kleinen Teil beschrieben sind, soweit nicht bereits von Bildern eingenommen. Sehr viel Sachinhalt enthält das Buch also nicht – und trotz vielen, teils auch weit gestreuten Objekten gelingt nicht wirklich ein repräsentativer Überblick über die „Mumien der Welt“. In dieser Hinsicht ist eher zu „Mumien: Der Traum vom ewigen Leben“ zu raten, das eine deutlich größere Anzahl Themen deutlich umfangreicher behandelt. Indes taugt „Mumien der Welt“ durchaus als Ergänzung zu jenem, da die Inhalte sich kaum überschneiden; besonders die Ausführungen zu Idu II sind lohnenswert.
An dem, was da ist, ist eigentlich nichts auszusetzen – durchweg wird hohe Qualität gewahrt, hinzu kommt eine großartige Bebilderung des Katalogs. In der Gesamtschau jedoch ist „Mumien der Welt“ aufgrund des geringen Umfangs doch eher eine hochwertig aufgemachte Broschüre, die nur einen oberflächlichen Einblick zu geben vermag.