Buchrezensionen

Falsch informiert!

Seit über fünfzig Jahren nun veröffentlicht der Schweizer Autor Erich von Däniken ein Buch nach dem anderen mit dem Ziel, das Wirken von Außerirdischen in der grauen Vorzeit des Menschen nachzuweisen. Zu den eher schwächeren Werken gehört „Falsch informiert!“, 2007 erschienen.
Abgesehen von einem weiteren Exkurs zu den leidlich bekannten Nazca-Linien am Ende konzentriert sich das Buch in seiner Gänze auf ein Thema: Mysteriöse Bücher, die den Menschen vor Urzeiten von den Göttern – sprich: Außerirdischen – vermacht wurden. Es beginnt mit dem bis heute nicht entzifferten Voynich-Manuskript – eine solide historische Darstellung, jedoch von eher geringer Relevanz für die nachfolgenden Theorien. Im Zentrum steht zweierlei: Zum einen das apokryphe Buch Henoch, das dem vorsintflutlichen Patriarchen nach eigener Aussage von Engeln diktiert wurde – diesem räumt Däniken unter zahlreichen weiteren Überlieferungen solcher „göttlichen Bücher“ eine Sonderstellung ein und konzentriert sich fortan fast nur darauf, was wohl der plastischen Darstellung von Henochs Kontakt mit den (mutmaßlichen) Außerirdischen geschuldet sein dürfte.
Auf der archäologischen Seite wiederum widmet er sich der ominösen „Metallbibliothek“ des Pater Crespi in Ecuador, einem Korpus von tausenden Stücken aus Stein sowie Gold oder anderen Metallen, deren Authentizität höchst zweifelhaft ist (wobei zumindest ein Teil zweifellos aus modernen, sprich gefälschten Stücken bestehen dürfte). Eng damit in Verbindung steht eine angeblich in einem Höhlensystem gefundene „Metallbibliothek“, die längst zu dem vielleicht fatalsten „Forschungsobjekt“ Dänikens geworden ist: Bereits im Buch „Aussaat und Kosmos“ (1972) behauptete er, von dem Entdecker Juan Moricz in einen Teil der Höhlen geführt worden zu sein. Eine undurchsichtige Affäre entspannte sich daraus, als man ihm später Lügen vorwarf, besagter Moricz von der früheren Zusammenarbeit nichts mehr wissen wollte, Däniken nur noch in einem Seiteneingang des Höhlensystems gewesen zu sein behauptete und spätere Expeditionen nur eine leere und natürliche Höhle vorfanden – woraufhin man die angebliche Metallbibliothek in eine andere Höhle weiter entfernt verlegte, zu der noch dazu ein noch früherer Entdecker auftauchte, der schließlich unter ominösen Umständen ermordet wurde, während schließlich ein gewisser Stanley Hall ebenfalls eine angeblich erfolgreiche Expedition führte … und so weiter und so fort. Es dürfte schwer bis unmöglich sein, die Affäre letztlich aufzuklären und zu rekonstruieren, wer wann und wie oft gelogen hat – können doch weder Juan Moricz noch Erich von Däniken selbst als wirklich seriöse Quellen gelten. „Falsch informiert!“, Dänikens zweiter größerer Beitrag zu der Kontroverse, klärt den Sachverhalt zwar auch nicht letztendlich auf und bringt auch keine wirklich neuen Informationen zu den angeblichen Fundstücken (so diese je existiert haben), doch es dokumentiert immerhin ausführlich – auch anhand etlicher Briefe und anderer Dokumente (so kann man ein Buch auch vollkriegen) – zumindest Dänikens Version der Ereignisse. Für eine letztendliche Rekonstruktion dürfte das Buch also durchaus hilfreich sein, auch wenn man bei allen beteiligten Akteuren ein unbestimmbares Maß an Unwahrheiten in Betracht ziehen muss. Lange Rede, kurzer Sinn: Die „Metallbibliothek“ ist nach wie vor nicht gefunden und gesichert worden, bis auf Weiteres existiert sie nur in Erzählungen.
Dies hält Däniken indes nicht davon ab, bereits ein komplexes Szenario darum zu konstruieren: War da nicht jene Gründungslegende der Mormonen, derzufolge Joseph Smith die Geschichte der nach Amerika ausgewanderten Stämme Israels von einigen vergrabenen Metallplatten her rekonstruierte? Passt dies nicht zu der Geschichte von Henoch, der im Auftrag Gottes himmlische Bücher über die Geheimnisse des Universums verfasste? Das Buch Henoch wurde auch tatsächlich in der Zeit vor der Sintflut vom in den Himmel entrückten Patriarchen Henoch verfasst, ist sich Däniken sicher – schließlich steht dies dort schwarz auf weiß, und hätten etwaige Autoren des Werkes lügen sollen? Diese Leichtgläubigkeit ist bezeichnend: Ein Werk ist glaubwürdig und stammt wirklich von dem zugeschriebenen Autor, weil es selbst dies behauptet. Anstelle eines bloßen Hinweises darauf, dass auch „Lügen“ (in der Theologie nennt man das auch „Redaktion“) ernsthaft in Betracht gezogen werden sollten, ließe sich auch ein vergleichbares Beispiel anführen: Das babylonische Epos Enuma Eliš, nach eigener Aussage in Abstimmung mit dem Gott Marduk niedergeschrieben und penibel kopiert, sowie auch der dem Fischwesen Oannes in den Mund gelegte Bericht des Berossos – beides Werke, die auch Däniken zitiert und anscheinend für glaubwürdig hält – berichten übereinstimmend, Marduk habe Himmel und Erde aus dem auseinandergerissenen Körper der Urgöttin Tiamat geschaffen. Ist dies also ebenso glaubwürdig wie Henoch und dementsprechend als authentischer Tatsachenbericht zu betrachten? Wenn nein – ab welchem Maß von „mythischem“ Charakter darf man von einer wörtlichen Interpretation absehen, und womit begründet ein Erich von Däniken ausgerechnet diese Grenze?
Bleiben wir noch beim Enuma Eliš: Däniken erwähnt das Epos und berichtet von der darin enthaltenen Sintfluterzählung (128) – die das Enuma Eliš jedoch gar nicht beinhaltet (er meint anscheinend die Schilderung im Atramḫasis-Epos). Im Gilgamesch-Epos indes werde Enkidu von einem Adler in den Himmel getragen (59) – eine ähnliche Szene existiert tatsächlich, doch geschieht dieses Ereignis ausdrücklich im Traum Enkidus; dieser wird dort von einem Dämon mit Adlerkrallen zwar gepackt, aber nicht in den Himmel entrückt, sondern überwältigt und in die Unterwelt verschleppt, eindeutiges Vorzeichen seines nahen Todes (vgl. Tafel VII, 165ff). Weniger peripher ist indes, dass Däniken die Auswanderung der israelitischen Stämme aus dem Buch Mormon in die Zeit Henochs datiert, da sie als „Jarediten“ von Henochs Vater Jared, also auch von Henoch selbst abstammen (128, 175), was nicht nur insofern sinnlos ist, da nach biblischer Überlieferung über den einzigen Sintflutüberlebenden Noah alle Menschen von dessen Vorfahren Henoch und Jared abstammen müssen – es widerspricht auch der an anderer Stelle (127) überlieferten Aussage, die Auswanderung habe zu Zeiten des Turmbaus von Babel, also nach der Sintflut und somit lange nach Henoch, stattgefunden. Selbst wenn man die Bibel an dieser Stelle ernst nimmt, wie Däniken es tut, so gibt sie doch seine Argumentation nicht her. Derart plumpe Fehler, die bereits bei einer oberflächlichen Kenntnis der Quellen auffallen sollten, zeugen von einem literarischen Standard, der irgendwo zwischen beeindruckender Inkompetenz und bewusster Täuschung rangiert.
Nicht vergessen werden sollte natürlich das weitere große Thema des Buches, das sich bereits im Titel andeutet: Die ultimative Ladung Wissenschafts-Bashing, eine über etliche Seiten (und immer wieder nebenher) ausgebreitete Tirade über die angebliche Blindheit und Verbohrtheit des Wissenschaftsbetriebs, deren Idiotie Erich von Däniken anscheinend als einzig Vernünftiger gegenüberstehe. Gelingt es ihm in seinen anderen Büchern noch meistens, diese Einstellung in elegante Formulierungen zu verpacken und mit scheinbar plausiblen Beweismitteln zu unterfüttern, so ist in „Falsch informiert!“ der Bogen doch eindeutig überspannt – maßlos polemische, ja fast schon vulgäre Lästerei, der dann doch nur wieder das „Common-Sense-Argument“ entgegengesetzt wird, es sei ja offensichtlich, dass die antiken Texte von Außerirdischen und ihrer Technologie handelten.
In seinen anderen Büchern, die ich bislang las, mögen Dänikens Theorien – obgleich größtenteils widerlegbar – bisweilen noch faszinierend und bedenkenswert gewesen sein. „Falsch informiert!“ indes macht da eine Ausnahme: Bis auf die simple Feststellung, dass viele Überlieferungen von göttlich diktierten Büchern handeln (wobei einige der schönsten Beispiele etwa aus dem alten Orient Däniken offenbar noch unbekannt waren), sowie einen gewissen Beitrag zur Aufarbeitung der ohnehin zweifelhaften Kontroverse um die Metallbibliothek enthält das Buch keinerlei neues Sachmaterial (sowohl Henoch als auch Pater Crespi und die Nazca-Linien sind wahrlich ein alter Hut), dafür aber wissenschaftsfeindliche Monologe so bislang kaum gekannten Ausmaßes, von den üblichen Fehlschlüssen einmal abgesehen (einmal mehr: Wie sollten sich unabhängig entstandene Außerirdische mit Menschen paaren können?). Auch für den Autor, der zurecht als Pseudowissenschaftler gilt, ist „Falsch informiert!“ somit ein ziemlicher Tiefpunkt.

Shivers VIII – Neue Horrorgeschichten

Nachdem die neue Reihe „Cemetery Dance“ jüngst mit der relativ kurzen Novelle „Widow’s Point“ startete, läuft  sie nunmehr mit ihrem zweiten Teil zu größerem Format auf: „Shivers VIII – Neue Horrorgeschichten“ lautet der Titel der rund 400 Seiten starken Anthologie, unter deren Mitwirkenden sich so große Namen wie Jack Ketchum, Laird Barron und nicht zuletzt Stephen King befinden. Shivers 1-7 erschienen zwar bereits zuvor in englischer Sprache, sind jedoch nie auf Deutsch erschienen.
Besonders wirbt der Buchheim-Verlag natürlich mit der enthaltenen Geschichte „Squad D“ von Stephen King, die mit diesem Buch tatsächlich ihre erste Veröffentlichung erfährt. In einer dezent unheimlichen, mehr aber noch deprimierenden Weise setzt sich die Story mit den Folgen des Vietnam-Krieges auseinander – literarisch durchaus respektabel, jedoch letztlich sehr kurz und damit eher wenig herausstechend. Ansonsten bietet das Buch eine bunte Sammlung verschiedenster Texte, deren Länge wie auch Unterhaltungswert breit variieren: Mal geht es um eine alte Messie-Frau mit dunklem Geheimnis, dann um bedenkliche Sandkastenspiele im Kinder-Ferienlager oder eine Affäre in Brasilien mit verstörendem Ergebnis. Ein Dieb alter Maya-Artefakte ersteht von den Toten auf, eine Katzenfigur entwickelt schrecklichen Blutdurst und ein Mann versucht seiner in einen Zombie verwandelten Frau Nahrung zu verschaffen. Bei weitem nicht alle Geschichten sind dabei im engeren Sinne dem Genre Horror zuzurechnen, ist dafür doch der Faktor des Unheimlichen oder Verstörenden oftmals eher nicht ausreichend – vielmehr könnte man den Inhalt der Anthologie unter „düstere Belletristik“ subsumieren: Das Spektrum reicht vom allzu bodenständigen, aber brillant inszenierten Mord eines alten Mannes an seiner Frau mit anschließendem Suizid in „Die Stunde dazwischen“ über Mystery in „Der Stuhl“ von Bentley Little und mehr explizite Fantasy in Ian Rogers‘ „Augen wie vergiftete Brunnen“ bis hin zu zunehmend psychedelischen Texten wie „Verklärung“ von Richard Christian Matheson und „Gamma“ von Laird Barron. Geschichten letzteren Typs, von denen es mehrere gibt, waren für mich die deutlichsten Durchhänger des Buches – traumartige Schilderungen, bei denen sich mitunter nur schwer fassen lässt, worum genau es eigentlich geht. Deutlich besser ist da etwa der lebendig geschilderte Mystery-Thriller „Ms. Wysle und der Lakritze-Mann“, in dem eine allzu reaktionäre Lehrerin etwas zu rücksichtslos gegen ihre Schüler durchgreift. Das Highlight aber ist für mich die letzte Geschichte „Mama schläft“ von Brian James Freeman: In bester Schauermanier verstörend baut sich die Spannung auf, bevor dann gleich zwei unerwartete, schockierende Wendungen den Horror vollenden – soweit eine Bewertung der unvorhersehbaren Kurzgeschichte ohne unangemessene Spoiler.
Letztlich sind eigentlich alle Geschichten in der Anthologie „Shivers VIII“ handwerklich hochwertig geschrieben – flüssig wegzulesen und in der Inszenierung der Ereignisse von professioneller Qualität. Indes schwankt doch der Unterhaltungswert –  zu zahlreich waren für meinen Geschmack jene schwer verständlichen Geschichten, die eine klare Inszenierung zugunsten der bloßen Atmosphäre aufgeben (um damit was eigentlich zu untermalen?) und den Leser relativ ratlos zurücklassen. In Sachen echter Horror mag es bessere Sammlungen geben, doch abseits dieses verengten Blickwinkels ist „Shivers VIII“ doch mit Genuss zu lesen – auf jeden Fall eine vielseitige Zusammenstellung haufenweise beunruhigender Ideen.

Skulduggery Pleasant – Mitternacht

Nach „Das Sterben des Lichts“ glaubte man die Serie fast schon beendet – da fügte Derek Landy seiner „Skulduggery Pleasant-Reihe“ (der letzten Jugenbuchreihe, die ich nach wie vor weiterverfolge) mit „Auferstehung“ noch einen weiteren Teil samt Cliffhanger hinzu. Diesem folgte nunmehr der nächste Band „Mitternacht“ nach, der relativ nahtlos an den Vorgänger anschließt.
Nachdem der letzte Band auf die Auferstehung der gefährlichen neuen Antagonistin Abyssinia hinauslief, war man natürlich gespannt auf den Fortgang dieses Handlungsstrangs. Zur allgemeinen Verwunderung für Leser und Figuren gleichermaßen ist Abyssinia jedoch zunächst einmal wenig interessiert daran, Blut und Zerstörung über die Welt zu bringen. Dies wurmt nicht zuletzt ihren zunehmend frustrierten Gefolgsmann Cadaverus Gant, der schließlich das Schicksal selbst in die Hand nimmt. Sein Ziel: Immer noch Rache an Walküre Unruh für den Tod seines früheren Kumpanen Jeremia Wallow. Sein Plan: Unter anderem die Entführung von Walküres kleiner Schwester Alison …
Ganz wie erwartet setzt „Mitternacht“ die Reihe nach wohlbekanntem Muster fort: Allerlei kauzige Charaktere, witzige bis groteske Dialoge, trotz teils mehrerer Handlungsstränge ein flottes Erzähltempo und flüssiger Stil. So ist natürlich auch dieser Band wieder beste Unterhaltung für zumindest zwei Tage, denn die 500 Seiten lassen sich allzu schmackhaft verschlingen. Eine positive Überraschung indes gelingt nicht mehr wirklich. Ein wenig fehlt die epische Dimension, die viele der früheren Bände so spannend machte – nicht zuletzt weil wider Erwarten die so pathetisch vorbereitete Abyssinia relativ kurz kommt. Wie schon der Vorgänger „Auferstehung“ (und anders als die ersten neun Bände) wirkt auch „Mitternacht“ nicht mehr wie ein in sich vollständiges Werk im Rahmen eines größeren Handlungsbogens; vielmehr wird ein Spannungsbogen über mehrere (teils noch nicht erschienene) Bände angedeutet, was dem einzelnen etwas den individuellen Reiz nimmt. Nachdem nun Protagonistin Walküre mehr oder weniger erwachsen geworden ist, wurde ja Omen Darkly als neue jugendliche Identifikationsfigur eingeführt – ein schon fast überzeichneter Loser und dankbares Objekt des Fremdschämens, mit dem ich nach wie vor nicht recht warm zu werden vermag. Fundamental neue Handlungselemente wurden mit diesem Band nicht ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, mehrere jedoch bereits nebensächlich angedeutet.
Als Unterhaltungsroman funktioniert wie erwartet auch „Mitternacht“: Flüssig und unterhaltsam von Anfang bis Ende, abermals ein lockeres Lesevergnügen. Allein – es fehlt weitgehend der große inhaltliche Reiz, hat sich doch das Verhältnis von angefangenen und tatsächlich auserzählten Handlungselementen etwas suboptimal verschoben. Umso gespannter kann man indes auf den nächsten Band sein. Dass Derek Landy Handlungen auch lange zuvor aufgebaute Plots sinnvoll wieder aufnimmt, hat er in den früheren Bänden bewiesen – und solche Cliffhanger gibt es spätestens nach diesem Band zur Genüge …

Widow’s Point

In Amerika ist der Verlag „Cemetery Dance“, in dem bereits zahlreiche Werke namhafter Horror-Autoren erschienen, längst Kult. Nun endlich hat es sich der jüngst gegründete Buchheim-Verlag auf die Fahnen geschrieben, „Cemetery Dance“ auch nach Deutschland zu holen und ausgewählte Titel in einer limitierten Reihe für Sammler zu veröffentlichen. Den Anfang macht „Widow’s Point“, eine kurze Geisterhausnovelle aus der Feder von Richard und Billy Chizmar – als Sammlerausgabe sogar signiert von beiden (erhältlich über den Online-Shop des Festa-Verlags).
Im Zentrum des Buches steht der gleichnamige Leuchturm bei Harper’s Grove, dem ein dunkler Fluch nachgesagt wird. Dem will der Autor Thomas Livingston auf den Grund gehen – und lässt sich für ein Wochenende im verlassenen Leuchtturm einschließen …
Erzählt wird die Geschichte in Form der Aufzeichnungen Livingstons, den Aufnahmen seiner Kamera und seines Diktiergeräts. Das sorgt in Form einer literarischen „Found Footage“-Geschichte für ein allzu tiefes Eindringen in die bedrängende Atmosphäre, die sich immer enger um den ahnungslosen Livingston zieht. Während einerseits das Grauen des Leuchtturms in der Gegenwart Stück für Stück Fahrt aufnimmt, werden von Livingston auch zahlreiche vergangene Anekdoten zur Geschichte des Leuchtturms erzählt, was das hochverdichtete Handlungssetting in einen größeren Hintergrund einbettet. Das Geisterhausthema mag aus Film wie Literatur längst ziemlich abgenutzt sein, doch wirkt auch dieses weitere Werk noch relativ frisch in der Art seiner allzu lebendigen Inszenierung beider Erzählebenen. So ist die Novelle „Widow’s Point“ nicht nur eine würdige Einführung in die neue Reihe „Cemetery Dance“, sondern auch wunderbare Gruselunterhaltung – für eine kurze Zeit jedenfalls. Der einzige Makel an dem zwar großformatigen, aber relativ dünnen und groß geschriebenen Buch ist nämlich seine Kürze – mehr als eine gemütliche Lesesitzung vermag die Geschichte um den unheimlichen Leuchtturm letztlich nicht zu füllen.

Vampir 2: Das siebente Opfer

Bildergebnis für das siebente opferUnter dem Titel „Das siebente Opfer“ geht die „Vampir“-Reihe des Zaubermond-Verlags in die zweite Runde – mit deutlicher Verbesserung gegenüber dem ersten Band. Das Buch enthält vier Geschichten mit jeweils knapp über hundert Seiten, eine jede von einem anderen Autor.
In „Der Teufelmacher“ von Hugh Walker geht eine parapsychologische Forschungsorganisation einer Reihe satanistischer Entführungsfälle auf den Grund – mit unerwarteter Auflösung. In „Baphomet“ von Uwe Voehl wird ein Mann von seinem okkultistischen Freund aus Schulzeiten entführt, um auf einem rätselhaften Anwesen der Rückkehr Baphomets zu dienen. Vom Fund der „Maske des Seth“ in einem ägyptischen Grab und dessen fatalen Folgen berichtet die Titelgeschichte „Das siebente Opfer“ von Bernd Frenz. Und schließlich setzt Jo Zybell mit „Baal“ die im ersten Band begonnene Reihe um den Journalisten Tom Percival fort, der sich einmal mehr einer Sekte von Satanisten und dem Druidenorden aus dem ersten Teil stellen muss.
Waren die Geschichten im ersten Band noch relativ zäh und unspektakulär, ist mit dem zweiten ein deutlicher Qualitätsgewinn eingetreten: Obgleich doch die vierte Geschichte noch etwas verwirrend ist und leicht am Fehlen eines roten Fadens krankt (auch die Titelgestalt Baal wird dann doch nur oberflächlich angeschnitten), so lesen sich letztlich alle vier Geschichten flüssig und spannend weg. Ein gewisses Maß an Klischees mag in diesem Genre mitunter schwer zu verhindern sein, doch immerhin vermeiden die Geschichten grobe Stereotype und Logikfehler weitgehend; auch die ägyptischen Hintergründe der Titelgeschichte werden ziemlich wirklichkeitsgetreu dargestellt. Auch bei der ziemlich abgenutzten Satanisten-Thematik gelingt es den Autoren zum Teil, neue Akzente zu setzen – auch wenn zu hoffen bleibt, dass sich dieses jetzt so oft behandelte Thema in den folgenden Bänden nicht ebenso zahlreich fortsetzt. Die Novellen haben genau die richtige Länge – ausreichend umfangreich in der Inszenierung, aber nicht langatmig. Zu loben ist auch die etwas größere Schrift als im allzu klein bedruckten ersten Band, was den Lesefluss verglichen mit jenem deutlich verbessert. So ergibt „Das siebente Opfer“ letztlich ein solides Stück Unterhaltungsliteratur – vier kurzweilige Mystery-Novellen, von denen jede ein bis zwei Stunden angenehmes Lesevergnügen verspricht.

Kleopatra – Die ewige Diva

Kleopatra VII. ist zweifellos eine der bekanntesten Gestalten der Antike, davon wohl die mit Abstand prominenteste weibliche – als ambivalente Geliebte Cäsars und Mark Antons ebenso wie in ihrer Rolle als Herrscherin, seltener auch als Mutter und Göttin. So ist es auch kein Wunder, dass sie ungebrochen über zweitausend Jahre eine lebendige Rezeption in Kunst und Literatur erfuhr, von der Ikonographie zu Lebzeiten bis hin zu Darstellungen im modernen Film. Dieser Rezeptionsgeschichte widmete sich auch eine Ausstellung in Bonn, zu der auch ein gleichnamiger Katalog erschien: „Kleopatra – Die ewige Diva“.
Auf rund 150 Seiten sind Textbeiträge versammelt – ihr Spektrum reicht von der Lebensgeschichte der historischen Person und ihrer zeitgenössischen Darstellung in Form von Statuen über verschiedene Epochen der Malerei – die vor allem immer wieder ihren dramatischen Tod, aber auch andere plakative Szenen zahlreich illustrierten – bis zur Moderne mit Film und Mode. Es ist wahrlich interessant zu beobachten, wie eine eigentliche einem konkreten historischen Kontext entstammende Person zwei Jahrtausende lang immer wieder in ihrem Erscheinungsbild der jeweiligen Gegenwart angepasst wurde: Die allzu europäischen Darstellungen Kleopatras etwa aus Mittelalter und Renaissance mögen uns heute naiv und einfältig erscheinen, doch lässt uns diese Aneinanderreihung doch nicht zuletzt jenes Bild hinterfragen, das wir heutigen Menschen selbst von jener Frau im Kopf haben – obgleich doch dieses moderne Bild nur allzu sehr von den frühen Verfilmungen geprägt ist, insbesondere jener von 1963 mit Liz Taylor in der Hauptrolle. Ein Kritikpunkt an dem Buch ist jedoch seine massive inhaltliche Redundanz: Zahlreiche allgemeine Bemerkungen zu Lebens- und Rezeptionsgeschichte finden sich letztlich in so ziemlich jedem Kapitel wiederholt, was von einer zu einem gewissen Grad mangelhaften Abstimmung zwischen den verschiedenen Autoren der Beiträge zeugen dürfte. Ein weiterer hochinteressanter Aspekt sind die modernen, bisweilen ideologisch getragenen Diskussionen über die mutmaßliche Hautfarbe Kleopatras (die, so zumindest die Meinung gewisser Strömungen, durchaus dunkel gewesen sein könnte). Während aber die Fragestellung und ihre Rezeption gut angesprochen werden, fehlt leider eine Konfrontation mit dem wissenschaftlichen Kenntnisstand unserer Zeit zu dieser Frage, womit man dann letztlich doch nicht beurteilen kann, ob es sich hierbei überhaupt um eine wissenschaftliche bzw. historische oder nur eine abstruse ideologische Diskussion handelt – und wie letztlich die wahrscheinlichste Antwort wäre.
Die zweite, rund ebenso seitenreiche Hälfte des Buches ist dem Katalog der bildlichen Darstellungen aller Zeiten (größtenteils Gemälden) gewidmet. Durchge“lesen“ ist dies schnell, unter kunsthistorischem Interesse indes mag man einige Zeit vor der faszinierenden Auswahl verweilen.
Unter historischen Gesichtspunkten ist das Buch eher wenig ergiebig und auch sonst wiederholt sich vieles in den Textbeiträgen. Wer sich jedoch maßgeblich für die Rezeptionsgeschichte jener berühmten letzten Königin der Ptolemäer in der bildenden Kunst interessiert, wird seine helle Freude an diesem doch erstaunlich preisgünstigen Prachtband über Kleopatra finden – eine gewaltige Anzahl groß abgedruckter Bildwerke samt ausführlichen Hintergründen illustriert perfekt die Wandlung ihres Bildes über etliche Jahrhunderte hinweg.

Antike mit Biss

Wahrscheinlich ist die Gruselgeschichte so alt wie die Menschheit selbst. So ist es auch kein Wunder, dass schon aus der klassischen Antike zahlreiche solche Begebenheiten überliefert sind, aus fiktionaler wie berichtender Literatur gleichermaßen. Eine kleine Zahl dieser hat Cornelius Hartz in dem Büchlein „Antike mit Biss“ zusammengestellt. In vier Abschnitten – zu den Themen „Vampire“, Hexen und Werwölfe, Gespenster und schließlich Verstümmelung und Tod – sind insgesamt zwanzig Originalquellen in deutscher Übersetzung abgedruckt, begleitet von einer kurzen Einleitung zu Werk und Autor. Eigentlich eine vielversprechende Idee – doch letztlich stellt sich die Auswahl doch als ziemlich unspektakulär heraus.
Vampire kommen eigentlich doch nicht vor, die darunter gefassten Geschichten haben allenfalls einen gewissen Bezug zum Bluttrinken – jedoch eher in rituellem Kontext. Ganz nett sind die Werwolf- und Gespenstergeschichten, die über „Hexen“ indes haben nicht wirklich unheimlichen Reiz – so wird dort auch etwa die wohlbekannte Kirke-Episode aus der Odyssee abgedruckt (und damit einmal mehr die weit verbreitete, aber mythologisch falsche Identifikation der Göttin Kirke als „Märchenhexe“ weiter bedient). Im letzten Abschnitt wurden schließlich einfach ein paar Anekdoten zu irgendwie unschönen Praktiken (wie etwa Kannibalismus) zusammengestellt, wobei Herodots „Der verstoßene Königssohn“ letztlich doch ganz eindeutig keine Horrorgeschichte ist, sondern eine typische Geburtslegende (nämlich Kyros‘ des Großen).
Das Buch mit knapp über hundert Seiten ist schnell durchgelesen – dabei jedoch letztlich recht enttäuschend. Alle Texte sind sehr kurz, dabei jedoch manchmal zäh – was nicht zuletzt an den teils uralten (und daher urheberrechtsfreien) Übersetzungen liegt, bei Homer und Ovid etwa im zum Lesen schwergängigen Hexameter. Bei der geringen Zahl der Geschichten hat man nicht wirklich das Gefühl, einen repräsentativen Eindruck von den „Gruselgeschichten der Antike“ gewonnen zu haben, zumal ein Großteil der Texte relativ gezwungen den modernen Themen zugeordnet scheint. Überwiegend sind es eben keine richtigen „Gruselgeschichten“, sondern Texte aus ganz anderen Kontexten, die bloß vereinzelte inhaltliche Bezüge aufweisen. So scheint die Sammlung auch irgendwie lieblos und nicht ganz professionell zusammengestellt, hätte es für eine solche Kompilation doch sicherlich zahlreiche weit geeignetere Texte in der antiken Literatur gegeben – so etwa allein schon im „Buch der Wunder“ des Phlegon von Tralleis.
Einzelne Texte sind in der Tat recht unterhaltsam und interessant, doch bilden sie die Minderheit in der ohnehin nicht großen Zahl der Quellen. Horror, Grusel und vor allem die implizierten Parallelen zu unseren modernen Schreckgestalten sucht man weitgehend vergebens – es fehlt dem Werk also letztlich jeder Reiz, mit dem es oberflächlich zu werben versucht.

Die Elementare

Pulp LegendsSeit Generationen sind die beiden Ferienhäuser von Beldame an der Küste Alabamas im Besitz der Familien Savage und McCray. Ein drittes Haus ist verlassen und wird zunehmend vom Sand verschlungen. Unheimliche Erlebnisse verbinden die Älteren damit – und als die Familien nach langer Zeit erneut ihren Urlaub in Beldame verbringen, regt sich das gestaltlose Grauen im dritten Haus von neuem …
„Die Elementare“ von Michael McDowell ist der vierte Band der Reihe „Pulp Legends“ – und abermals hat man im Rahmen dessen einen wahren Schatz ausgegraben, vielleicht sogar den bisher besten Band der Reihe. Oberflächlich betrachtet ist es eine Geisterhausgeschichte. Und doch wirkt das Buch nur allzu frisch und unverbraucht, was gleichsam an Setting wie Inszenierung liegt: Von großartiger Atmosphäre ist der Schauplatz Beldame, auch ohne langatmige Beschreibungen so plastisch und lebendig wie nur zu wünschen. Das Umfeld von amerikanischem Süden und Strand unterscheidet sich deutlich von dem klassischer Geisterhäuser – trotzdem und deshalb entsteht eine ganz besondere Wirkung schon allein des Ortes. Nicht die Dunkelheit der Nacht beherbergt hier das Böse; es tritt gleichsam in der brütenden Sonnenhitze des Tages auf. Die Natur des Grauens bleibt trotz zahlreicher Andeutungen doch irgendwie im Dunkeln, es wird durch keine Entmystifizierungen relativiert.
Doch ist der Großteil des Werkes letztlich den Figuren gewidmet, den eng verflochtenen Familien McCray und Savage mit ihrer weit zurückreichenden Geschichte, die durch zahlreiche Rückgriffe lebendig wird. Die Charakterzeichnung ist pointiert und individuell – zur großen Freude des Lesers gelingt es McDowell, in solchem Genre verbreitete Klischees weitgehend zu umschiffen. So bleibt auch das Handeln der Charaktere allzu nachvollziehbar, alles andere als gezwungen und irrational. Regelmäßig sorgt der beißende Zynismus der Figuren, ganz besonders aber des Luker McCray, der auch angesichts der verkorksten eigenen Familie kein Blatt vor den Mund nimmt, für Erheiterung. So liest sich auch das gesamte Buch flüssig weg, trotz des langsamen Spannungsaufbaus niemals langatmig, was vor allem dem fesselnden Spiel der Charaktere geschuldet ist.
„Die Elementare“ ist ein auf ganzer Linie vollendetes Werk: Komplexe und (im literarischen Sinne) sympathische Charaktere, ein einzigartig atmosphärisches Setting und ein sich dezent steigerndes Grauen, das beide verbindet.

The Happy Man

Pulp LegendsEigentlich führte Charles Ripley ein zufriedenes Leben mit einem guten Job, einer schönen Frau und einem Haus in einem beliebten Ort in Kalifornien – bis die Familie Marsh nebenan einzieht. Schnell schließt Ripley Freundschaft mit seinem allzu lebenslustigen neuen Nachbarn Rustin. Doch zunehmend häufen sich erschreckende Unglücke in der Nachbarschaft – und es zeichnet sich ab, dass Rustin eine ganz eigene, sadistische Vorstellung von Selbstverwirklichung besitzt …
Mit dem dritten Band „The Happy Man“ von Eric C. Higgs wird die Reihe „Pulp Legends“ im Festa-Verlag fortgesetzt. Der relativ kurze Roman führt den Leser in die Abgründe der menschlichen Seele, das Spannungsfeld erkundend zwischen bürgerlichem Anstand und all jenen Bedürfnissen, die dunkel unter der vornehmen Oberfläche brodeln. Allzu lebendig wird das unbeschwerte bis dekadente Leben in einer Siedlung amerikanischer Besserverdiener geschildert – und die kleinen moralischen Ausreißer schließlich bis ins Grausige übersteigert. Dabei liegt freilich nicht auf plastischer Gewalt das Augenmerk, sondern auf dem Psychogramm des Protagonisten und seiner Umgebung. Ripleys unerfüllte Sehnsüchte, sein Hadern mit den verschiedenen Lebensmodellen, seine Reaktion angesichts der zunehmenden Erkenntnisse über die Gräuel in seiner Umgebung eröffnen sich dem Leser auf allzu empathische Weise – bis zum Ende hin alles unweigerlich auf blutige Eskalation hinausläuft …
„The Happy Man“ ist schnell durchgelesen, da flüssig und sehr unterhaltsam, auch wenn manch potenzielle Spannung durch frühe Vorausgriffe verhindert wird. Trotzdem bleibt das Werk allzu spannend in Hinblick auf die Charakterentwicklung und natürlich die Ausgestaltung des unvermeidlichen Finales. Reizvoll sind die Gedanken zur wirklichen – sprich: grausamen – Natur des Menschen im Widerstreit zwischen Moral und Selbstverwirklichung, die gerne noch umfangreicher hätten ausgeführt werden können. Letztlich bleibt „The Happy Man“ eben doch kein vordergründig philosophisches Buch, sondern schlichtweg ein unterhaltsamer, weil brillant inszenierter Psychothriller.