Tannöd

Bei der heutigen Rezension geht es um den „Kriminal“-„Roman“ Tannöd von Andrea Maria Schenkel, welchen ich vergangenes Jahr in der Schule zu lesen gezwungen war.

„Ein unglaubliches Buch“ verspricht das Zitat Elke Heidenreichs auf dem Buchrücken. Dass diese Aussage den Tatsachen entspricht, daran besteht kein Zweifel.
Die Geschichte dreht sich um einen grausamen Mordfall. Bayern in den 50er Jahren: Alle sechs Bewohner eines abgelegenen Hofes – die fünfköpfige Familie Danner sowie die Magd – werden in einer schicksalhaften Nacht mit einer Spitzhacke erschlagen.

Bei Tannöd handelt es sich nicht um einen Roman im Sinne einer fortlaufenden Geschichte mit einem oder mehreren Protagonisten. Stattdessen besteht das Buch aus etlichen Interviews mit Bewohnern des Dorfes, die ihre Meinung zu dem Mordfall zum Besten geben und somit Einblicke in die Hintergründe und Gerüchteküche Tannöds ermöglichen. Ergänzt werden diese durch verschiedene Szenen aus der Sicht des Mörders und der Opfer, allesamt im Präsens geschrieben. Laut einem Interview mit der Autorin, zu finden im Anhang (es handelt sich um vollkommene Selbstbeweihräucherung), soll dieser Stil dem Text „Schwung verleihen“. Was sie dabei leider nicht bedacht hat: Es verleiht dem Text keinen Schwung, sondern in Verbindung mit der infantilen, bayerischen und oftmals fehlerhaften Sprache mehr eine primitive Behäbigkeit, die im Leser nichts als Wut hervorruft. Die Interviews sind meist so geschrieben, wie ein Mensch tatsächlich sprechen würde (mit Umgangssprache, willkürlich abgebrochenen oder unverbundenen Satzteilen…). Ein Realismus in dieser Form ist jedoch in einem Buch schlicht unangemessen und wirkt, als bewege sich der Autor auf dem literarischen Niveau eines Grundschülers. Da es sich um ein Erstlingswerk handelt, lässt sich das tatsächliche literarische Potenzial der Autorin unmöglich ermessen. (Eine Anmerkung, Frau Schenkel: Etwas schlechter zu schreiben, als man in der Lage ist, zeugt nicht von großer schriftstellerischer Genialität.)
An manchen Stellen – dem Anfang, dem Ende, beim Tod von Figuren und bei anderen schicksalhaften Punkten der Handlung – sind in das Buch christliche Litaneien eingefügt, in denen um die Seelen der Menschen gebetet wird. Jedem atheistisch bzw. säkular veranlagten Menschen nördlich des Weißwurstäquators stößt dieser raffinierte Kunstgriff unweigerlich sauer auf. Andererseits dienen die Litaneien weniger der Unterhaltung des Lesers, sondern spiegeln die tiefe Religiosität der im Buch beschriebenen Gesellschaft wieder. Bei jener handelt es sich um die hinterwäldlerischen Bürger eines bayerischen Dorfes in den 50er Jahren. Noch übertroffen werden sie selbstverständlich von der durch Gewalt und Inzest geprägten Familie Danner, deren Auslöschung dem Leser wohl kaum sonderlich viel Mitleid entlocken wird. Eine Identifizierung mit den Figuren ist freilich nicht möglich.*

Es bleibt auch noch zu sagen, dass der Mordfall im Buch auf einer realen Tat basiert, die sich in den 20er Jahren abgespielt hat. Die wesentlichen Elemente wurden weitgehend übernommen. Da sich auch auffällige Ähnlichkeiten zu einem darüber geschriebenen Sachbuch fanden, wurde die Autorin des Plagiats bezichtigt und in einen Urheberrechtsprozess verwickelt, den sie jedoch gewann. Doch ob nun direkt abgeschrieben oder nicht, die kreative Leistung bezüglich der rahmengebenden Handlung ist überschaubar.
Man könnte sich auch noch fragen, ob sich ein Buch mit 170 spärlich beschriebenen Seiten als Roman bezeichnen lässt (wie auf dem Cover unübersehbar geschehen), doch für die Bewertung des Werkes dürfte die Frage irrelevant sein. Ebenso erscheint rätselhaft, auf welche Weise das Buch verschiedene Preise gewinnen und hohe Verkaufszahlen erzielen konnte.

Letztendlich bleibt Tannöd wie ein Hieb mit der Spitzhacke: Primitiv und unangenehm, aber zumindest schnell vorbei.

*Wer sich prinzipiell für Geschichten über degenerierte Hinterwäldler interessiert, dem empfehle ich eher den wesentlich niveauvolleren Film The Texas Chainsaw Massacre, die Lovecraft-Geschichten Schatten über Innsmouth und Das Grauen von Dunwich oder gleich meinen Kurzroman Asiras

Schreibe einen Kommentar