Die Prämisse der kurzen Novelle „Tiere“ von Kim Steinfurt lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Was, wenn einmal wir die Tiere sind?
In diesem kurzen Büchlein gibt es keinen Kontext, keine übergeordnete Handlung. Wir erfahren nicht, wie es dazu kam, dass die Welt allem Anschein nach nun von einer höheren Spezies beherrscht wird, ja wer diese Spezies überhaupt ist. Das spielt aber auch keine wirkliche Rolle, denn wichtig ist nur das Ergebnis: Dass Menschen nun in der Position sind, die wir über Jahrtausende hinweg den Tieren aufgezwungen haben. Vier exemplarische Schicksale bekommt der Leser nacheinander präsentiert, jedes von ihnen nicht individuell, sondern stellvertretend für unzählige. Menschen in einem vollautomatischen Mastbetrieb oder als überzüchtetes Haustier – eine Synthese unserer Urängste einerseits, eine Blasphemie gegen unser selbstverständliches Eigenbild andererseits. Diese Geschichten sind drastisch, vollkommen schonungslos im Ausmalen der schrecklichen Gräuel, Horror ersten Ranges ohne Zweifel. Ein schrecklich lebendig ausgemaltes Grauen, das umso wirkungsvoller ist, wo man doch weiß, dass es nicht der fehlgeleiteten Perversität eines Autors, sondern einzig und allein einer Betrachtung der realen Welt – mit vertauschten Rollen – entspringt. Nicht Sadismus oder Hass ist die Ursache dessen, was einen hier so sehr schockieren mag – sondern nichts anderes als mitleidlose Gleichgültigkeit. Abartig? Vielleicht. Und doch mit einer nur allzu politischen und zivilisationskritischen Botschaft.
Das Büchlein von rund 80 Seiten ist in rund einer Stunde durchgelesen – und liegt doch noch wesentlich länger im Magen. Ein kleines, schockierendes Meisterwerk, das beweist, wie gut doch Horror und Gesellschaftskritik Hand in Hand gehen können.