Unterwerfung

Wenige Bücher der letzten Jahre waren so umstritten wie „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq, der darin das aktuelle Horrorszenario vieler Europäer illustriert: Die endgültige Islamisierung Europas.
Frankreich in naher Zukunft. Nachdem der erste Wahlgang kein endgültiges Ergebnis gebracht hat, kommt es nach dem zweiten zu einer Koalition aus Sozialisten und Muslimbruderschaft – ein Muslim wird Präsident. Sofort beginnt sich die Gesellschaft entsprechend zu wandeln…
Erzählt wird aus der Sicht des Literaturprofessors Francois, der den politischen Ereignissen und den gesellschaftlichen Umwälzungen zwar als weitgehend unbeteiligter Beobachter gegenübersteht, aber nichtsdestotrotz eine individuelle Figur ist. Seit Jahren betreibt er immer wieder kurzfristige Affären mit seinen Studentinnen, ohne sich jemals fest zu binden – ein Problem, das immer wieder thematisiert wird. Sein Fachgebiet ist der Schriftsteller Joris-Karl Huysmans, über den er unter anderem seine Doktorarbeit verfasste und der ihn zeitlebens begleitete. Immer wieder werden auch die Werke Huysmans thematisiert, sodass ein Kenner dessen sicher seine Freude an dem vorliegenden Buch hätte (wozu ich allerdings nicht gehöre).
Das in „Unterwerfung“ beschrieben Szenario wird eben dadurch so realistisch, dass es nicht fiktional überzogen ist. Es wird nicht gleich die Scharia in Frankreich eingeführt, die Demokratie nicht mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Doch sind die Änderungen nichtsdestotrotz unübersehbar: Polygamie wird legalisiert (bis zu vier Frauen pro Mann), die allgemeinen Sitten sind zunehmend islamisch-konservativ geprägt. Frauen und Nichtmuslime, darunter der Ich-Erzähler, werden aus den Lehrstühlen der Universitäten entfernt. Eine patriarchalische Gesellschaft tritt an die Stelle der alten. Was umso verstörender wirkt als die bloße Unterdrückung der Frauen in der neuen Gesellschaft, ist die Tatsache, dass all diese die Veränderung stillschweigend akzeptieren, sich den neuen Verhältnissen geradezu demütig anpassen, ohne dass von Widerstand die Rede wäre. Es geht hier nicht um ein totalitäres Regime, das den Menschen einen neuen Lebensstil aufzwingt – die Revolution kommt aus der Mitte der Gesellschaft und wird durch die neue Regierung mehr bestätigt als durchgesetzt. Das Thema ist unweigerlich Wasser auf die Mühlen all jener, die schon jetzt die große Islamisierung befürchten, ist das Thema doch durch die Flüchtlingskrise aktueller denn je. Weder Autor noch Protagonist indes zeigen wirklich offene Ablehnung, gar Fremdenhass; eine gewisse Xenophobie lässt sich Francois nur in wenigen Szenen attestieren.
Das Ende der Geschichte mag mäßig befriedigend sein, aber folgerichtig – überhaupt ist es natürlich schwer, eine Geschichte befriedigend zu beenden, die keinen auf den Protagonisten bezogenen Hauptkonflikt kennt, sondern mehr berichtend dessen Alltag in Anbetracht einer sich verändernden Situation darstellt.
Auffällig ist, dass der Islam praktisch nicht als Religion thematisiert wird, sondern vielmehr als Kultur, politische Macht oder einfach Lebensstil. So geht es bei aller Reflexion niemals um Theologie, selbst der Name Allah wird kaum jemals genannt. Dies zeigt wohl, wie viele Menschen – Muslime wie Nichtmuslime – diese „Religion“ vorwiegend sehen und wie sie gelebte Realität ist bzw. sein könnte, setzt sich doch fast niemand wirklich mit den religiös-mythologischen Hintergründen auseinander, die bestenfalls als Rahmenerzählung für ein selbstständiges Kulturphänomen dienen. Fast schon erschreckend wird ausgemalt, wie attraktiv der Islam auch ohne jegliche religiöse Dimension auf viele Einwohner der westlichen Welt wirkt, welche längst unter einem „Werteverfall“ zu leiden hat, einer Art nationalen Sinnkrise, für die der Protagonist ein geradezu herausragendes Beispiel ist.
Wohnt dem Werk eine politische Botschaft inne, ein Appell gar? Ich konnte keinen entdecken. Es ist die Vision einer möglichen Zukunft, wie sie vielleicht sein könnte, beschrieben aus der eher nüchternen Perspektive eines Menschen, dessen Augenmerk auf seinem eigenen Schicksal liegt. Der Leser möge sich sein eigenes Urteil darüber bilden.
Ist das Buch zu empfehlen? Ja, definitiv. Es ließt sich recht schnell und flüssig, die Thematik ist aktuell, relevant und interessant (wobei man dementsprechend kritisch und reflektiert lesen sollte). Am Stil lässt sich nichts aussetzen; nur seltsam ist, dass den Kapiteln jegliche Überschriften fehlen. Und, auch nicht zu unterschätzen: Hat man es gelesen, kann man mitreden, sollte jemals das Gespräch darauf fallen. Also zugreifen, zumal jetzt endlich auch eine Taschenbuchausgabe zu menschenwürdigem Preis erschienen ist.

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