„Die Wiedergänger“ von Christian Baier ist ein spezielles Buch. Es spielt Anfang des 18. Jahrhunderts, vor allem, aber nicht nur in Serbien und ist in seinem Stil einem tatsächlichen Bericht nachempfunden, wie er damals hätte geschrieben werden können. Im Mittelpunkt stehen – der Name lässt es bereits vermuten – Wiedergänger, sprich Untote, die regional auch als Vampire, Nachzehrer, Moroi oder ähnliches bekannt sind. Eine durchgehende, zielstrebig aufs Ende hin laufende Handlung freilich wird man nicht finden, vielmehr ist beim Lesen der Weg das Ziel.
Die Geschichte spielt vorwiegend auf dem Balkan, in jenen ländlichen Regionen, in denen der Glaube an jene Untoten seit jeher besonders verbreitet war (und teilweise noch ist). Geprägt ist das Land von den schon viele Jahre andauernden Kriegen zwischen Österreich und dem Osmanischen Reich, zwischen Abend- und Morgenland, Christentum und Islam. Entsprechend leidgeprüft sind die Einwohner, geplagt durch Schlachten, Seuchen, Hungersnöte und nicht zuletzt das titelgebende Grauen. So ist „Die Wiedergänger“ zuallererst eine Geschichte des Leidens, was auf vielen Seiten detailliert und in altmodischer Sprache wiedergegeben wird. Eine düstere Stimmung ist allgegenwärtig, Glück nur stellenweise vorhanden, um gleich danach wieder umso härter zerschlagen zu werden. Immer wieder begegnen wir Menschen, die von Krankheit und/oder Depression dahingerafft werden, nicht nur einmal der Klassiker des Liebespaares, welches durch widrige Umstände nicht zusammen sein kann, wo schließlich jeder allein seinen eigenen Weg ins Elend finden muss. Emotionale Anteilnahme des Lesers hält sich dabei des trockenen, berichtenden Sprachgebrauchs wegen eher in Grenzen, so inflationär – wenn auch noch glaubhaft geschildert – ist das allgegenwärtige Grauen, an dem die Wiedergänger nur einen kleinen Anteil haben. Jene indes werden zwar immer wieder genannt und prägen die Geschichte über weite Strecken, tauchen dabei aber nur indirekt auf, d.h. in zweifelhaften Erzählungen, Legenden und schwer zu beweisenden Berichten, sodass man bis zum Ende nicht genau weiß, ob sie nun tatsächlich existieren oder doch nur dem Aberglauben der Menschen entspringen. Eben dies macht das Buch realistisch, es ist eben kein Spannungsroman des Fantasy- oder Horrorgenres, sondern mehr eine fiktionale Gesellschaftsstudie. Obgleich ich nicht beurteilen kann, wie historisch akkurat sämtliche gebotenen Informationen tatsächlich sind, so trifft die vielseitige Darstellung des Wiedergänger-Phänomens zweifellos die Realität ziemlich genau in Bezug auf die berichteten (übernatürlichen) Erscheinungen und die Maßnahmen, die von den Menschen dagegen getroffen werden.
Hauptfiguren des Romans sind zum einen die Kinder Micula und Amna, deren Vater ein Wiedergänger gewesen sein soll, sowie der Mönch Guido de Torrenti, der nach seiner Verbannung die eigene Schuld zu begleichen sucht, das Leid einer unmöglichen Liebe spüren muss und schließlich dem untoten Grauen so nah kommt wie kaum ein anderer, und nicht zuletzt der österreichische Beamte Heinrich Ignaz Frommenthal, welcher, beauftragt mit der Untersuchung der schrecklichen Phänomene, quer durch das Kaiserreich reist und selbst mehr und mehr in das Grauen hineingezogen wird. Keineswegs aber sind es ausschließlich diese Personen, an denen sich der Roman entlanghangelt: Immer wieder schweift das Werk ab und berichtet, nicht selten weit in der Vergangenheit beginnend, detailliert die Vorgeschichte plötzlich aufgetauchter Nebenfiguren. Auch ist keineswegs ein gleichmäßiger Wechsel zwischen den sich nur selten überkreuzenden Handlungen der Hauptcharaktere zu beobachten – so wird etwa an einer Stelle die Geschichte von Amna und Micula abgebrochen und das Leben des zuvor noch nicht genannten Guido de Torrenti von Geburt an aufgerollt, wobei erstere über weite Passagen überhaupt nicht vorkommen – geschweige denn die titelgebenden Wiedergänger. Erst gegen Ende laufen die Stränge zusammen und münden ineinander – den Ausgang des Werkes mag man befriedigend finden oder nicht, er ist freilich nicht das eigentliche Ziel des Romans; dies ist vielmehr die vielschichtige Darstellung der damaligen Gesellschaft und des Wiedergängerglaubens in Form unzähliger Einzelschicksale. Fragen bleiben nicht wirklich offen, überlebt doch kaum eine der vorkommenden Figuren sonderlich lange.
Bei allem Positiven, was über das Werk gesagt werden kann, bleibt jedoch die simple Tatsache nicht aus, dass es sich, nicht zuletzt wegen der trockenen, altmodischen Sprache und der wenig zielführenden Handlung, außerordentlich zäh ließt. Erst nach einiger Zeit gewöhnt man sich an den speziellen Stil und kann der Geschichte flüssig folgen, weshalb es sich empfiehlt, das Buch in großen Stücken zu lesen, anstatt nach und nach häppchenweise, wobei ein Eingewöhnen jedes Mal wieder schwierig sein dürfte. Auch besteht unweigerlich die große Gefahr, noch vor der Beendigung der Lektüre frühere Passagen und Zusammenhänge wieder vergessen zu haben, was jedoch aus eben genannten Gründen nicht sonderlich schwer wiegt.
Fazit: Ein sehr interessantes, nach einiger Gewöhnung auch unterhaltsames Buch, wenn auch zweifelsohne zäh und somit keine leichte Lektüre.
Spannung: 2/5
Realismus: 4/5
Information: 4,5/5
Luzifer Verlag, 324 Seiten