Der Mensch steht auf Sensationsgeschichten – das war zweitausend Jahre vor der BILD-Zeitung und skurrilen Internet-Blogs nicht anders als jetzt. So ist es auch kein Wunder, dass sich im 2. Jhd. n. Chr. ein Herr namens Phlegon von Tralleis hinsetzte und eine Sammlung erstaunlicher Anekdoten zusammenstellte – das „Buch der Wunder“. Leider ist heute nur noch ein Teil davon erhalten, kaum dreißig Seiten nämlich – in einem kurzen Rutsch durchzulesen. Darin nun finden sich allerlei mysteriöse Anekdoten: Berichte von Menschen, die nach ihrem Tode als Geister oder Untote wiederkehren (und mithin gar die Zukunft vorhersagen), von Missgeburten verschiedener Art, von Hermaphroditen und Androgynen, Geschlechtsänderungen, angeblich gefundenen Knochen von Riesen und so weiter.
Die erste und umfangreichste Geschichte berichtet von einer Frau, die nach ihrem Tod als Wiedergängerin zur Geliebten eines Mannes wird – eine wirkmächtige Geschichte, die unter anderem Geschichten von Theophile Gautier, Washington Irving und Goethes Ballade „Die Braut von Korinth“ inspirierte. Etwas enttäuschend indes fand ich den Abschnitt über die Riesenfunde, bei denen es sich überwiegend nur um einzelne Knochen von beeindruckender Größe handelte, womit sie höchstwahrscheinlich prähistorischen Tieren zuzuordnen sein dürften. Interessant ist das Buch in seiner Gesamtheit vor allem dahingehend, dass es abseits der bekannten (epischen/literarischen) Mythologie einen Eindruck vom (Aber-)Glauben der antiken Menschen vermittelt und von den „Wundern“, die diese in ihrer Umwelt beobachteten.
Es gibt heute offensichtlich zwei Editionen des Werkes, von denen jene mit dem blauen Umschlag offensichtlich die umfangreichere ist. Sie enthält nicht nur den gesamten Text, zweisprachig in Deutsch und Griechisch, sowie einen Kommentar zur Werksgeschichte, sondern darüber hinaus alle drei der oben erwähnten Adaptionen jener Untoten-Legende. Für ein so kleines antikes Werk ist damit eine respektabel zusammengestellte Publikation entstanden, bei der einzig der abartig hohe Preis, unter dem sie gehandelt wird, zu bemängeln ist. Über die weit billigere andere Ausgabe von bloß 62 Seiten hingegen vermag ich nicht zu urteilen. Lesenswert jedenfalls ist Phlegons Anekdotensammlung auf jeden Fall und man wünscht sich schnell, es sei mehr davon erhalten beziehungsweise verfasst worden.