Nimrods letzte Jagd

Der alte Orient im frühen 6. Jahrhundert vor Christus: Nach dem Untergang des mächtigen Assyrischen Reiches kämpfen verschiedene Mächte um die Vorherrschaft. Das Bündnis zwischen den Medern und dem Neubabylonischen Reich unter Nebukadnezar II. ist zunehmend brüchig, zahlreiche mittlere Völker – Griechen, Lyder, Skythen, Perser, aber auch Ägypten und Juda – konkurrieren um die Macht. Vor diesem Hintergrund nun spielt Josef Nyárys historischer Roman „Nimrods letzte Jagd“.
Einst war Dagon ein Feldherr des Assyrischen Reiches – nun, zwanzig Jahre nach dessen Fall, verlebt er seinen Lebensabend auf Zypern. Bis, ausgerechnet am Fest der Ischtar, eine Truhe mit dem Kopf seines Sohnes bei ihm eintrifft, die das Siegel des Mederkönig Kyaxares trägt. So macht sich Dagon nun auf, seine alten Gefährten aus assyrischen Tagen um sich zu versammeln und Rache für den Mord an seinem Sohn zu nehmen. Ihr Weg führt sie durch den ganzen alten Orient – und zunehmend zeichnet sich ab, dass nicht jeder der ist, der er zu sein vorgibt …
Ob nun Sprachstil, Beschreibung der Schauplätze oder die zahlreichen historischen Gestalten – Nyáry beweist eine beeindruckende Vertrautheit mit den geschichtlichen Ausgangsstoffen und lässt den Leser allzu lebendig in die Geschichte eintauchen. Natürlich wird vieles von all dem fiktionale Ausgestaltung sein und einer strengen wissenschaftlichen Kritik kaum standhalten – doch die im Genre nötige Qualität wird schon dadurch erreicht, dass man Fakt und Fiktion kaum voneinander trennen kann. Aus diesen Grundlagen wird eine komplexe, gar epische Geschichte gewoben, die trotzdem folgerichtig und durchweg spannend bleibt. Brillant sind gleichsam das durchdachte Netz der teils fiktiven, teil historischen Akteure und ebenso die szenische Inszenierung, die trotz der weit gespreizten Handlung ohne wirkliche Längen und Durststrecken auskommt. Soweit ein mehr als großartiger Roman mit Genialität in zahlreichen Dimensionen, den zu lesen eine wirkliche Freude ist.
Doch bei all dem bleibt ein Aspekt, wo sich der Autor völlig verrennt, je nach Vorprägung des Lesers bis ins Abstoßende gehend – nämlich die religiöse Dimension. Völlig ahistorisch wird das exilische Judentum gleichartig einem neuzeitlichen, evangelischen Pseudochristentum dargestellt, samt Pazifismus und Ethik mit Teufel und Jenseits. Das grenzt, wenn man zum Vergleich die Bibel kennt, ans Groteske, wenn etwa kranke Misanthropen wie die Propheten Jeremia und Ezechiel (die in ihren Schriften noch die ganze Welt brennen sehen wollten) als moralisch überlegene Pazifisten dargestellt werden. Zu guter Letzt wird dieses erstaunlich missionarische Proto-Christentum zur ultimativen Wahrheit und letzten Erkenntnis hochstilisiert, die natürlich nur die gewaltaffinen, ewiggestrigen Heiden nicht einsehen. Wirklich schade, wo doch Josef Nyáry in seinem Buch „Die Vinland-Saga“ schon eine wesentlich neutralere und historisch angemessenere Sichtweise auf das Christentum zeigte. Doch gerade bei dem Ausmaß, das diese religiöse Heuchelei zum Ende des Romans hin annimmt, kann man einfach nicht mehr darüber hinwegsehen – es bleibt auf ewig der bittere Nachgeschmack der Erkenntnis, dass hier ein Werk von höchstem Potenzial verdorben wurde.

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