Woran glauben und welchen Weltanschauungen folgen die Menschen? Ein kurzer Blick in die Gegenwart genügt, um zu erkennen, dass ein Großteil der Menschheit sein Weltbild nach wie vor durch primitive, unwissenschaftliche Dogmen definiert. Was die Welt zu brauchen scheint, ist eine neuerliche Aufklärung.
Michael Schmidt-Salomon hat sich unlängst einen Ruf als bekannter Religionskritiker erworben; in seinem Buch „Jenseits von gut und Böse“ nahm er sogar das gesamte etablierte Moralsystem auseinander. Mit dem „Manifest des Evolutionären Humanismus“ legt er nun ein Werk vor, das versucht, auf Basis der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse ein neues, fundiertes Weltbild zu entwerfen. Ein Teil des Buches widmet sich natürlich der Religionskritik, doch sollte man nicht erwarten, hier eine umfassende Auseinandersetzung mit den Religionen zu erwarten – das würde nicht nur den Umfang sprengen, sondern ist auch längst in anderen Werken geschehen. Trotzdem erfahren wir etwa, weshalb die so etablierte Lehre, Ethik bedürfe Religion, denkbar falsch ist, sowie gewisse Ansätze zur evolutionären Erklärung des Gottesglaubens. Die Evolution ist in der Tat ein zentraler Punkt im nicht umsonst so genannten „evolutionären Humanismus“, zeigt diese doch die Grundlagen gleichsam der Moral wie auch des Menschen selbst auf. Insofern muss auch unweigerlich ein neuer ethischer Zugang in Bezug auf nichtmenschliche Tiere gefunden werden, da sich die klassische Differenzierung im Rahmen der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht aufrecht erhalten lässt. Auch auf Wirtschaft und Prinzipien wie etwa das „Naturrecht“ geht der Autor kritisch ein. Am Ende steht dann ein Weltbild, das man als die logische Weiterentwicklung des Humanismus und der Werte der Aufklärung betrachten kann.
Es ist ein Buch, das unbedingt mehr Leute lesen sollten, offenbart es doch einen rationalen Ausgang aus der (und hier ist die Weiterentwicklung gegenüber Kant zu sehen) systembedingten Unmündigkeit. Nahezu nichts ist auszusetzen an der Methode des Erkenntnisgewinns und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen, sind diese doch einfach nur rationale Logik und empirische Wissenschaft. Einzig bei der Verteidigung eines gewissen Idealismus in Opposition zu der ideologischen Alternative des resignierten Zynismus wirkt Schmidt-Salomon etwas verzweifelt und krampfhaft optimistisch – die Annahme, der Mensch sei nicht nur nicht grundsätzlich destruktiv, sondern sogar zu einer Entwicklung hin zu Vernunft und Frieden fähig, ist als einzige These des Buches nicht sonderlich gut belegt. Nennen wir es die Prämisse, auf die einfach keine positive Weltanschauung verzichten kann.
Es liegt einem wissenschaftlich orientierten Menschen (wozu ich mich wie auch den Autor zähle) fern, jemals von einer absoluten Wahrheit auszugehen. Doch es ist wohl nicht zu viel gesagt, wenn man dieses Buch als die heute bestmögliche Annäherung daran begreift. An den Leser dieser Rezension sei nur noch eines gesagt: Lesen Sie es! Lesen Sie es!