Das Gilgamesch-Epos ist sicher eines der bedeutsamsten Werke der Weltliteratur – kein Wunder also, dass es zahlreiche Deutungen und Interpretationen aus allen Richtungen anzieht. Einige dieser Interpreten haben sich unter dem Motto der sogenannten „Urerfahrungen“ zu der Anthologie „Liebe, Tod, Unsterblichkeit“ versammelt. Sieben Autoren geben in sieben Beiträgen ihre philosophischen Deutungen des Epos zum besten – und enttäuschen dabei ziemlich.
Zugegeben, vielleicht fehlt mir auch einfach das Gespür für philosophische Feinheiten und den Sinn, den manche anscheinend aus dem Jonglieren mit Abstrakta ziehen. Doch sind auch manche Bereiche der Philosophie und artverwandter Disziplinen (Theologie und Psychologie liegen mithin recht nahe) durchaus interessant und diskussionswert, trifft dies auf die Gilgamesch-Interpretationen in diesem Band nicht zu.
Das Schema ist immer ziemlich gleich: Unter dem Thema einer „Urerfahrung“ wie etwa Träume, Liebe, Tod, Gewalt und Glauben wird in jedem Kapitel das gesamte Epos nacherzählt und dahingehend gedeutet. Der Gehalt aber – denkbar gering. Letztlich lassen sich die Schlüsse und Aussagen der Autoren in zwei Extreme einteilen: a) jene, die vollkommen offensichtlich und jedem Leser des Epos bekannt sind, nur umständlicher formuliert, und b) solche, die wirklich an den Haaren herbeigezogen sind und sich kaum am Text, noch weniger aber am kulturhistorischen Kontext belegen lassen. Es scheint überhaupt, dass die Autoren das Epos zwar sehr genau gelesen und sich eingehend damit beschäftigt haben, sonst aber keiner von ihnen über mehr als oberflächliche Kenntnisse der Altorientalistik verfügt. So fehlen auch völlig solche Deutungen, die den historischen und kulturellen Kontext des alten Mesopotamiens mit einbeziehen, welcher ja bei einem Epos aus ebendieser Zeit durchaus eine Rolle spielen könnte. Nein, stattdessen werden dem alten Epos lieber willkürlich abstrakte Konzepte viel späterer Traditionen aufgestülpt, die als Interpretation vielleicht möglich sind, doch weder im Bewusstsein der Autoren des Epos bzw. der Gilgamesch-Tradition gelegen haben dürften, noch die Anforderungen an wissenschaftliche Hypothesen mit Beweis- und Widerlegbarkeit erfüllen. Da wird etwa im ersten Beitrag plötzlich alles in Schemata von männlich-weiblich und geistig-intuitiv/dionysisch-apollonisch eingeteilt, bis groteske Schlüsse das Ergebnis sind: Der Gott Enlil zeigt in der Sintflutgeschichte emotionales und nicht durchdachtes Verhalten, also verkörpert er das Prinzip des emotional-intuitiv-Triebhaften, also auch das Prinzip der Natur, also ist im Umkehrschluss in allem, das irgendwie emotional oder naturverbunden (Enkidu) ist, das Enlil-Prinzip vorhanden.
Den Mangel an inhaltlichem Gehalt machen die Autoren (manche mehr, andere weniger) dafür aber mit einer inflationären Verwendung von Fremdwörtern, Fußnoten, kontextlosen Zitaten berühmter Denker und, ganz besonders beliebt, Wörtern und Konzepten aus dem Griechischen wieder wett. Nichts gegen eine akademische Ausdrucksweise, nichts gegen Belege für seine Aussagen – doch in diesem Fall, wo oft genug hinter einem denkbar beliebigen und noch dazu meist unnötigen Wort noch in Klammern die Schreibung in griechischen Buchstaben steht, grenzt der Stil an intellektuelle Onanie. Weniger scheint man sich um eine klare und präzise Ausdrucksweise zu bemühen, als vielmehr krampfhaft um den Eindruck höchster intellektueller Potenz, die dem Verständnis mehr ab- als zuträglich ist.
Das einzig Positive an diesem Werk ist, dass es nur 160 Seiten umfasst.