Ich hatte zuvor noch nie etwas von Kurt Tucholski gelesen, allenfalls kontextlos den Namen gehört – so war „Das große Lesebuch“ aus der Reihe Fischer Klassik das erste seiner Werke, das mir unter die Augen kam. Freilich – Herr Tucholski selbst hätte sicher einiges zu sagen gehabt zu diesem Titel, ist das Buch doch mit knapp über 300 Seiten nicht allzu groß. Und wofür, wenn nicht zum Lesen, mag ein Buch sonst gut sein? Ist es eine Betonung wert, dass dieses Buch nicht zum Essen oder durch die Luft werfen da ist?
Was den Inhalt angeht, bleibt das Werk indes ein Grund zur Begeisterung. Eine beträchtliche Ansammlung kurzer Texte (meist nur wenige Seiten lang) enthält der Band – ein paar Erzählungen und Dialogszenen, größtenteils jedoch kurze, satirische Sachtexte sozialkritischen Inhalts. Und darin behandelt Tucholski alles mögliche: Die groteske Einstellung der Deutschen zu Arbeit und zu Autoritäten, Krieg und Politik, Hunde und Hundehalter, Beamtentum und Bürokratie. Obwohl in den Jahren der Weimarer Republik geschrieben, bleibt vieles doch bis heute so aktuell, dass man das Alter der Satiren bisweilen kaum glauben kann. Obgleich oft so spezifisch, gelingt es Tucholski doch, anscheinend überzeitliche Konstanten im menschlichen Verhalten aufzuzeigen – damals mögen seine Texte brillant gewesen sein, heute können sie als fast schon visionär gelten. Doch all das wäre immer noch öde ohne den vielfältigen Humor der Satiren, dargestellt durch allerlei skurrile Vergleiche und Ausdrücke, Szenarien und Betrachtungsweisen. Ernster wird der Ton indes in den letzten Texten, wo Tucholski gegen Krieg und Militarismus anschreibt, gezeichnet durch die Schrecken des Ersten Weltkrieges – wichtig und berührend, zweifellos, und schrecklich deprimierend angesichts der Tatsache, dass wir heute wissen, wie die Geschichte weitergehen sollte.
Schwerlich kann ich natürlich ermessen, wie repräsentativ die Auswahl der in dem Buch versammelten Texte für das gesamte Werk Tucholskis ist, noch ob die besten beziehungsweise wichtigsten darunter sind – doch das, was geboten wird, ist großartig – witzig und, mehr noch, so aktuell wie eh und je.