Ideale Welten: Die Geschichte der Utopie

Es gab keine Zeit, in der sich die Menschen nicht eine bessere Welt ausgemalt hätten. Von Platons idealem Staat bis hin zur modernen Science-Fiction zieht sich das Motiv der Utopie durch die Kulturgeschichte. In „Ideale Welten – Die Geschichte der Utopie“ hat Gregory Claeys diese Tradition aufgearbeitet und damit ein beachtliches Übersichtswerk geschaffen. Es beginnt mit den Mythen und Philoophen der griechischen Antike, dicht gefolgt von christlichen und außereuropäischen Paradiesvorstellungen und schließlich dem Zeitalter der konkreten literarischen Utopien, angefangen mit Thoma Morus‘ „Utopia“. In etlichen Einzelbeispielen, zugleich aber allgemeine Entwicklungen aufzeigend, beleuchtet Claeys all die verschiedenen Visionen vom 15. bis 19. Jahrhundert: Abenteuerromane mit utopischen Elementen, christliche und sozialistische Kommunen und nicht zu vergessen den entstehenden Kommunismus. Ein wahrlich bereichernder, weil umfassender Blick auf diverse (soziale und/oder literarische) Traditionen, die den meisten wohl unbekannt sein dürften. Claeys schreibt recht lebendig und flüssig; unterstützt wird der Text durch zahlreiche Bilder und Infokästen zu relevanten Persönlichkeiten. Es ist außerordentlich interessant, die verschiedenen utopischen Visionen aller Zeiten heraus- und gegenüberzustellen mit den Fazit, dass nicht nur gewisse Ideen (wie etwa die Abschaffung des Privateigentums) sich universell durch alle Zeiten ziehen, sondern dass gleichsam die Idealbilder der Menschen nur allzu stark im Wandel begriffen sind – würden doch so manche, wenn nicht die meisten dieser damaligen Utopien heute vielmehr als totalitäre Dystopien gelten.
Was das 20. Jahrhundert angeht, sinkt die Qualität des Buches aber leider merklich, da sich der Autor ziemlich von seinem Leitthema entfernt . Da wären vor allem die beiden wichtigen Punkte des (faschistischen und kommunistischen) Totalitarismus einerseits und die moderne Science-Fiction andererseits zu betrachten. Beides wird breit dargestellt – doch aus unerfindlichen Gründen verzichtet man auf die Herausstellung der utopischen Elemente, sodass dieser Teil zu einer ganz allgemeinen Kulturgeschichte verkommt. Dachte Claeys, eine wertfreie Darstellung totalitärer Utopien der jüngsten Vergangenheit ließe sich nicht verkaufen, während die utopischen Elemente der Science-Fiction allgemein bekannt wären? Gerade bei letzterer wird sich im 20. Jahrhundert eigentlich nur auf Dystopien konzentriert – während Huxleys „Schöne neue Welt“ und Orwells „1984“ einiger Raum eingeräumt wird, fallen dem Buchthema entgegen die positiven Utopien völlig unter den Tisch.
So ergibt sich letztlich ein Buch, das mit hervorragendem Stil etliche Jahrhunderte umfassend abbildet, beim letzten aber leider völlig versagt. Ein großartiger Überblick über die Utopien bis 1900, für das meiste danach müsste man jedoch andere Werke bemühen.

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