Wer hat sich nicht schon einmal gefragt, was es mit hethitischen Berggöttern und hurritischen Steindämonen auf sich hat?
Nun gut, wahrscheinlich jeder außer Altorientalistik-Nerds wie mir. An jene kleine Minderheit dort draußen jedoch richtet sich diese Rezension. Denn wenn man an altorientalischer Mythologie interessiert ist, dann sollte man „Hethitische Berggötter und hurritische Steindämonen“ des anerkannten Hethitologen Volkert Haas nicht verpassen – bietet dieses doch eine grobe Einführung in die hethitische Religion und interessante Vertiefungen zu – Sie ahnen es – Berggöttern und Steindämonen.
Nicht umsonst bezeichnete man das Hethiterreich als „Land der tausend Götter“. Daher ist die Einführung zu Beginn des Buches auch nur allzu hilfreich. Wir erfahren, aus welchen verschiedenen Gruppen sich die Götterwelt des alten Anatoliens zusammensetzt – etwa „endemische“ Götter der Hattier sowie indogermanische, mesopotamische und hurritische Gestalten. Daneben werden einige Charakteristiken der hethitischen Religion geschildert, etwa das sakrale Königtum und – wirklich ernst gemeint – die Inkarnation der Götter in Form von Brot. Dann folgt ein längerer Teil, der ausführlich auf verschiedene heilige Berge Zentralanatoliens samt zugehörigen Göttern und Kulthandlungen eingeht. Das ist, zugegebenermaßen, streckenweise recht öde. Jedoch bietet der Abschnitt eine Vertiefung zum Charakter der lokal variierenden Götterwelt. Dann, um die Mitte des Buches, geht es an eine sehr interessante Thematik: Den hethitisch-hurritischen Mythenzyklus des Gottes Kumarbi. Zunächst einmal fallen starke Gemeinsamkeiten mit der griechischen Mythologie auf – Hesiod, Autor des Standardwerkes Theogonie, dürfte (vor allem in Bezug auf Kronos und Typhon) maßgeblich durch hethitische Vorbilder beeinflusst worden sein. Ein wichtiger Teil des Kumarbi-Zyklus ist natürlich das „Lied von Ullikummi“ – zur Freude des Lesers vollständig in deutscher Übersetzung abgedruckt. Auch hier werden zahlreiche Parallelen zu benachbarten Kulturen aufgezeigt – seien es die Griechen, Urartu oder auch im Kaukasus. Schließlich wird auch noch auf die Tradition der phrygischen Göttin Kybele eingegangen, die – wie könnte es anders sein – auf älteren (hurritischen?) Vorbildern beruht. Letztlich wird die mythisch-religiöse Rolle von Stein und Berg in multipler Form in all den Ländern rund um Anatolien dargestellt.
Volkert Haas schreibt weitgehend ziemlich klar und verständlich – wobei meine Sicht darauf auch durch zu viel Vorwissen getrübt sein kann. Wann immer es um eine neue Kultur geht, wird diese erst einmal in einem knappen Geschichtsabriss vorgestellt. An Quellen und Zitaten wird nicht gegeizt, mit schlecht belegbaren Theorien hält er sich zurück.
Das Buch lohnt sich schon für die vollständige Fassung des Liedes von Ullikummi, doch auch der übrige Inhalt ist bereichernd für jeden Interessierten: Der Teil mit den Berggöttern hat zweifellos seine Längen. Wirklich interessant hingegen ist die Darlegung solch zahlreicher Parallelen zwischen Mythen verschiedener Kulturen. Sei es die Abfolge verschiedener Göttergenerationen samt Krieg, Verbannung und Kastrationen, die wir in so ähnlicher Form bei Griechen und Hurritern finden, sei es die in diversen Ländern verbreitete Befruchtung eines Steins zur Erschaffung eines übernatürlichen Wesens als Kontrahent der Götter.
Also: kein literarisches Fastfood, aber für Mythologie-Interessierte ein Glücksgriff!