Großsteingräber, Grabenwerke, Langhügel – Frühe Monumentalbauten Mitteleuropas

Noch heute prägen uralte Monumente die Landschaften Norddeutschlands. Die aus tonnenschweren, unbearbeiteten Felsen errichteten Großsteingräber – „Hünengräber“ im Volksmund – wurden einst vorzeitlichen Riesen zugeschrieben, ebenso wie die noch gewaltigeren Langbetten. Heutzutage gilt ihre Einordnung in die jungsteinzeitliche Trichterbecherkultur, genauer die Zeit zwischen ca. 3 500 und 2 800 v. Chr., als sicher. Weniger bekannt, wenngleich mit einer Länge von 40 – 50 Metern nicht weniger mächtig, sind die nichtmegalithischen Langhügel jener Zeit, die neben Dolmen und den oft vergessenen Einzelgräbern die Vielfalt jungsteinzeitlicher Bestattungsformen illustrieren.
Seit 2009 werden diese Relikte durch das Schwerpunktprogramm „Frühe Monumentalität und soziale Differenzierung“ der Christian-Albrechts-Universität Kiel untersucht. Zu den zahlreichen daraus hervorgegangenen Publikationen gehört auch der Sonderband der Zeitschrift „Archäologie in Deutschland“ mit dem Titel „Großsteingräber, Grabenwerke, Langhügel – Frühe Monumentalbauten Mitteleuropas“, der mittlerweile auch als gebundene Ausgabe und kostenlose Online-Publikation erschienen ist. Der Autor Johannes Müller ist Professor für Ur- und Frühgeschichte an der Uni Kiel und dürfte somit wohl als einer der kompetentesten Ansprechpartner zum vorliegenden Thema gelten. 112 Seiten mögen für ein solches Buch nicht viel erscheinen, doch beinhalten diese durchaus eine reichhaltige Zusammenstellung interessanter Informationen und aktuellster Forschungsergebnisse.
Entgegen dem, was man vielleicht erwarten mag, handelt es sich nicht um einen Bildband „die schönsten Großsteingräber Norddeutschlands“, sondern eben eine wissenschaftliche Zeitschriftenpublikation. Der Titel scheint ein Werk über die „frühen Monumentalbauten Mitteleuropas“ zu implizieren (wobei die Großsteingräber neben Grabenwerken und Langhügeln eben nur ein Aspekt sind), doch trifft dies den Nagel nicht auf den Kopf. Vielmehr dreht sich ein großer Teil des Bandes um die kulturhistorischen Kontexte ebendieser „frühen Monumentalität“ – anstatt im Däniken-Stil die beeindruckendsten Einzelmonumente abzubilden und zu beschreiben, gehen mehrere Abschnitte etwa auf die klimatisch-naturräumlichen Voraussetzungen der nordeuropäischen Jungsteinzeit, eine präzisierte Feinchronologie der Trichterbecherkultur und deren profane Überreste ein. Ziemlich trocken und anstrengend zu lesen, wenngleich durchaus informativ, ist etwa ein Abschnitt über die Vielfalt der Haustypen der TBK; andere Abschnitte befassen sich unter anderem mit den Rohstoffen Flint, Kupfer, Bernstein und Gold in jener Phase.
Besonders zu befürworten ist dieser Ansatz, sobald es an die Großmonumente selber geht: Den bekannten kollektiven Großsteingräbern wird die Vielfalt der weniger bekannten Bestattungsformen gegenübergestellt, mit denen diese koexistierten und sich bisweilen auch überschnitten. So gab es durchaus Einzelgräber in der Trichterbecherkultur, manchmal mit Steinpackungen oder in noch nicht megalithischen Steinkisten, vor und auch noch während der Megalithzeit – und auf der anderen Seite die titelgebenden Langhügel, die auch ganz ohne Steine monumentale Dimensionen erreichen. Als besonders interessantes Beispiel fungiert hier der Grabkomplex Rastorf LA 6a: Wo zuvor ein profaner Hof stand, errichtete man in einer ersten Bestattungsphase noch innerhalb der Hausruinen einen Dolmen, nach und nach ergänzt durch weitere Einzelgräber, die schließlich zu einem (später nochmals erweiterten) Langhügel verbunden wurden – ähnlich der Langhügel von Flintbek, ebenfalls mit mehreren Dolmen und Einzelgrabkammern sowie darunter den aktuell ältesten bezeugten Wagenspuren. Schließlich wird auch auf die klassischen Dolmen und Ganggräber in verschiedenen Formen eingegangen – ihre Typologie, ihre Verbreitung, die dort gemachten Funde sowie schließlich auch die Frage der Errichtung, welche etwa experimentell durch die Errichtung eines Großsteingrabes auf dem Campus der Kieler Uni nachvollzogen wurde. Neben den menschlichen Überresten, wie sich in zumindest manchen Megalithgräbern noch bei Ausgrabungen fanden, wird auch auf die Art der einstigen Benutzung eingegangen, als die Gräber offenbar als lebendige Anlagen eines Totenkultes fungierten. Neben einer Reihe von Einzelbeispielen – so etwa der Brutkamp bei Albersdorf oder der Denghoog auf Sylt – nimmt man auch die überregionale Verbreitung und Vernetzung megalithischer Bestattungssitten rund um die Trichterbecherkultur in den Blick. Weniger Grabbauten, aber nicht weniger monumental sind die in einem der letzten Kapitel behandelten Grabenwerke – bekannt eher aus südlicheren neolithischen Traditionen wie etwa der Michelsberger Kultur, aber sehr wohl auch im Norden bezeugt, was auf einen entsprechenden Fluss von Kulturtraditionen schließen lässt.
Das Werk mag manchmal trockener sein, als es eine simple Publikation nur über Großsteingräber hätte sein können. Jedoch gelingt dem vorliegenden Band etwas viel Wertvolleres: Ein breites Panorama der Trichterbecherzeit mit ihrer Umwelt, ihren Siedlungen und ihrer Wirtschaftsweise einerseits, zugleich die Einordnung der monumentalen Grabbauten selbst in den historischen Kontext, dem sie entstammen – ihre Ursprünge, ihre Errichtung und Weiternutzung, das Zusammenspiel mit anderen Kulturtraditionen sowohl lokal wie überregional. All dies wird reichhaltig illustriert mit Fotos sowohl der Monumente wie auch aktueller Grabungen sowie zahlreichen Graphiken. So ist „Großsteingräber, Grabenwerke, Langhügel“ letztlich eine hervorragende Grundlage für jede Beschäftigung mit der „frühen Monumentalität“ Nordeuropas, die es nicht beim bloßen Ansehen beeindruckender Steinbauten belassen will.

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