From Hell


Ein Comic mit 492 Seiten. Nachdem ich von „Watchmen“ begeistert und von „Providence“ enttäuscht worden war, hatte ich einen gewissen Respekt vor diesem weiteren Werk des bekannten Comic-Autors Alan Moore. Doch das erwies sich als unbegründet, die fette Graphic Novel als Meisterwerk.
„From Hell“ dreht sich um die Mordserie des Jack the Ripper im London des Jahres 1888, welche hier in den Kontext einer größeren Verschwörung gestellt wird – doch würde es dem Werk kaum gerecht, es darauf zu reduzieren. Nicht nur ist es eine meisterhaft recherchierte Wiedergabe und Interpretation der historischen Ereignisse, sondern überdies auch eine schier monumentale Vision über London, den Geist des viktorianischen Zeitalters, über Freimaurerei und Esoterik.
Es dauert etwas, bis man in das Buch hineingefunden hat. Das liegt natürlich an den zunächst verwirrenden Szenen am Anfang, die für den Laien nichts mit dem Hauptthema zu tun haben scheinen, und nicht zuletzt am Zeichenstil. Jener ist schwarzweiß, damit durchgehend düster, oftmals recht undeutlich, ja geradezu skizzenhaft. Doch nicht nur schafft dies eine nur allzu passende Atmosphäre; auch wird so die historisch leider notwendige Darstellung der expliziten Gewaltszenen möglich und, weil abstrahiert, erträglich. Positiv hervorzuheben ist die Schrift, die im Gegensatz zu manch anderen Graphic Novels durchgehend angenehm zu lesen ist. Es dauerte bei mir jedoch nicht lange, bis ich mich an den Stil gewöhnt hatte und das Buch kaum noch aus der Hand legen konnte – so schwanden die 492 Seiten innerhalb von zwei Tagen dahin.
Welch brillantes Werk „From Hell“ tatsächlich ist, zeichnet sich zwar schon bald ab, wird einem in vollem Umfang aber erst beim Lesen des 55 Seiten langen (!) Anhangs bewusst, der penibel von Kapitel zu Kapitel die historischen und künstlerischen Hintergründe erläutert. Die Autoren Alan Moore (Text) und Eddie Campbell (Zeichnungen) recherchierten zehn Jahre für das Werk – und das merkt man diesem an; seien es die durchweg historischen Figuren, teils wortwörtlich so gesprochene Zitate, die bis ins kleinste Detail ausgestalteten Schauplätze, auch die Verknüpfung mit anderen Ereignissen derselben Zeit. Genau erläutert Moore im Anhang, was Historie, was Theorie und eigene Fiktion ist, aus welchen Quellen sich die ersteren beiden herleiten und wo gegebenenfalls kreative Änderungen in Kauf genommen wurden. Wie sich herausstellt, ist das Werk bald so vielschichtig wie die homerischen Epen, in Sachen Recherche und unterschwelligen Anspielungen noch eine Liga vor „Watchmen“. Nicht jedem mögen die visionenhaften, schwer verständlichen Szenen am Ende gefallen – mir indes schon, obgleich ich solcherlei Stilmitteln sonst eher ablehnend gegenüberstehe.
Als absolut brillant hervorzuheben ist überdies der Anhang 2, in dem wunderbar zynisch in einem weiteren Comic die Rezeptionsgeschichte der Mordserie rekapituliert wird, mit all den zahlreichen Autoren und ihren Theorien zum wahren Mörder.
Zu schade, dass die deutsche Ausgabe derzeitig oft vergriffen und, wenn verfügbar, meist sehr teuer ist. Ich kann aber nur empfehlen zuzuschlagen, sobald sich ein Angebot eröffnet.
„From Hell“ ist letztlich also nicht nur eine Geschichte, die, einmal eingetaucht, gut unterhält, sondern ein beachtlich vielschichtiges Monumentalwerk voller historischer Fakten und Referenzen, wie es in der Weltliteratur nur selten vorkommt.

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