Viele an alten Kulturen interessierte Menschen werden sich schon gefragt haben, weshalb die Zivilisationen des Alten Orients – wie etwa die Sumerer, Babylonier und Assyrer – in der heutigen Populärwissenschaft so totgeschwiegen werden. Und jedes Mal, wenn doch einmal der Blick auf diese gerichtet wird, dann schweigt still ein unbekanntes Land im Osten, meist ein Stück rechts vom Rand der Landkarte, für das sich selbst die Altorientalisten kaum interessieren: Elam.
Keiner kennt Elam, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Umso wichtiger, dass es zumindest eine Handvoll Literatur (vermutlich aufgerundet) gibt, die sich doch damit befasst. Das wohl einzig relevante Buch in deutscher Sprache ist „Frauen und Schlangen“ von Heidemarie Koch, erschienen im Verlag Philipp von Zabern. Auf knapp über 180 Seiten wird dem interessierten Leser die so unbekannte und doch faszinierende Kultur der Elamer nähergebracht, die in der Antike im westlichen Iran (gleich östlich von Mesopotamien) siedelten.
Schon in vorschriftlicher Zeit, d.h. im 4. und 5. Jahrtausend v. Chr., existierte hier eine blühende Hochkultur, die mit den Sumerern auf einer Stufe stand. In Susa, der in allen Zeiten bedeutendsten Stadt Elams, wurden die ersten Stufenpyramiden (Zikkurats) errichtet; Zählsteine und Siegel belegen eine wichtige Rolle auf dem Weg zur Schrifterfindung (die nach aktueller Lehrmeinung wohl um 3300 v. Chr. in Uruk, Sumer, stattfand). Im 3. Jahrtausend noch eine Gruppe von Stadtstaaten, die zeitweilig teilweise unter mesopotamischer Vorherrschaft standen, entwickelte sich Elam im 2. Jt. selbst zu einer bedeutenden Macht im Alten Orient, die mit Babylonien und Assyrien um die Vorherrschaft konkurrierte, bis die Kultur in achämenidischer Zeit im Perserreich assimiliert wurde.
Da elamische Dokumente zu fast allen Zeiten rar sind, dominiert bei der Analyse dieser Kultur der archäologische Aspekt – erst recht natürlich in vorschriftlicher Zeit. Hier kommen dem Buch auch die vielen, meist farbigen Bilder zugute, die erwartungsgemäß viel anschaulicher sind als die (ebenfalls vorhandenen) Beschreibungen bestimmter Fundstücke. Letztere können mitunter langweilig sein, doch das Buch ist zu kurzweilig, um viel Platz darauf zu verschwenden. Manche Funde indes sind auch durchaus interessant, etwa die sehr frühen Tierdarstellungen und das einzigartige Material der Bitumen-Mastix (Was das ist? Lesen Sie das Buch!). Im späteren Verlauf spielen natürlich auch Dokumente mesopotamischen Ursprungs eine wichtige Rolle bei der Rekonstruktion der elamischen Geschichte. Nichtsdestotrotz muss vieles Mutmaßung bleiben, denn für eine so genaue Chronik wie in Mesopotamien oder dem (viel) späteren Griechenland und Rom fehlen uns leider die Quellen. Der titelgebenden Thematik „Frauen und Schlangen“ (vor allem Frauen) wird übrigens nur ein Kapitel gewidmet; der Rest ist allgemeine elamische Kulturgeschichte.
Als einziger wirklicher Kritikpunkt fällt mir auf, dass die Autorin an vielen Fällen der archäologischen Unsitte verfallen zu sein scheint, allem, bei dem nicht sofort ein anderer Zweck offensichtlich ist, eine kultische Grundlage zu unterstellen – oft mag dies natürlich gerechtfertigt sein, in anderen Fällen wiederum lässt es sich schlicht nicht belegen (etwa bei bloßen Tierdarstellungen, die auf keinen Fall einfach nur Kunst sein dürfen). Des weiteren ist mir beim Lesen ein trivialer Fehler aufgefallen: Auf Seite 62 wird von der „gefürchteten Göttin Lamassu, die für Krankheiten und vor allem das Kindbettfieber verantwortlich gemacht wurde“, geschrieben. Gemeint kann aber nur Lamaštu sein, denn bei Lamassu handelt es sich um einen durchgehend positiven Schutzgeist, zumal üblicherweise männlich dargestellt. Doch diesen Fehler kann man verschmerzen, während man ersteres einfach kritisch lesen muss, wobei es den Sachinhalt des Buches nicht tangiert. Ein gewisses Vorwissen in der Altorientalistik ist beim Lesen auf jeden Fall hilfreich, wobei man ein solches ohnehin bei jedem vermuten kann, der sich der Thematik Elam widmet, wobei auch Laien mit dieser populärwissenschaftlichen Darstellungen etwas anfangen können sollten.
Im Endeffekt also ist „Frauen und Schlangen“ eine gute Kulturgeschichte Elams, die anschaulich Geschichte, Kunst und Religion dieses interessanten Volkes darstellt und in diesem Bereich auf dem deutschen Markt (nicht zuletzt mangels Alternativen) alternativlos ist.