Europäische Vorzeit (Kunst im Bild)

„Europäische Vorzeit“, ein Band der Reihe „Kunst im Bild“, will dem geneigten Leser unter Einsatz von Bildern die Kunst der europäischen Vorzeit nahebringen. Und gut, dass die Reihe nicht „Kunst im Text“ heißt – denn während die Bilder allesamt von guter Qualität und interessant anzuschauen sind, stellen sich die dazugehörigen Wortergüsse leider als ziemlicher Murks heraus.
Freilich, das Buch ist schon etwas älter, von 1985 nämlich. Doch auch von damaligen (Kunst-)Historikern hätte man eine gewisse Professionalität erwarten können, die der Autor Walter Torbrügge hier leider nicht an den Tag legt. Inwiefern? Zunächst wäre da der Aspekt des Aufbaus: Das Buch ist chronologisch in ein paar Zeitabschnitte gegliedert (Paläo- und Mesolithikum, Neolithikum, Bronze- und frühe Eisenzeit usw.), darin jedoch findet keine wirklich sichtbare Unterteilung statt. So hat man praktisch nie eine Vorstellung, in welcher Kultur man sich mit den gerade erörterten Kunstobjekten eigentlich bewegt, zumal der Autor hier eindeutige Zuordnungen meist konsequent vermeidet – so findet sich höchstens einmal im gesamten Buch das Wort „Linienbandkeramik“ (kleine Anmerkung für Nicht-Ur- und Frühgeschichtler: Das war die wichtigste Kultur des europäischen Neolithikums). Stattdessen wird ziemlich willkürlich zwischen einzelnen Kulturen gesprungen, ganz ohne Sinn für Zeit und Region. Besonders schön ist etwa die direkte Überleitung von der Zeit des Hellenismus zur Megalithkultur von Malta, bei der der unvorbelastete Leser denken wird, die maltesischen Megalithtempel seien während oder nach der Zeit der römischen Republik erbaut worden und nicht etwa Jahrtausende zuvor.
Der zweite große Kritikpunkt ist inhaltlicher Art: Nämlich hält der Autor starr, ja geradezu lächerlich ideologisch an dem Dogma fest, jegliche nennenswerte Kulturleistung im „primitiven“ Europa sei ein Import oder Imitat der Hochkulturen des Mittelmeerraums (was sich erstaunlicherweise durch alle Zeiten zieht). Mehr noch, der Autor ist sich nicht zu schade, gelegentlich Wörter wie etwa „barbarisch“ zu verwenden, wenn er die mitteleuropäischen Kulturen und all ihre Kunsterzeugnisse konsequent abwertet. „Insgesamt aber kann Europa sich noch nicht aus seinem prähistorischen Stadium lösen, es bleibt im Wesen barbarisch und Kostgänger der alten Hochkulturen und ihrer mediterranen Nachfolger“, so Torbrügge auf Seite 155, womit die sich durch das ganze Buch ziehende Kernaussage hinreichend zusammengefasst wäre. Ganz abgesehen davon hängt der Autor der weitverbreiteten Hybris mancher Altertumskundler an, stets ganz genau wissen zu meinen, was die Menschen früherer Zeiten genau dachten und glaubten. Die angeblichen kultischen Funktionen und Hintergründe verschiedener Objekte, bar jeder empirischen Grundlage, werden durchweg ganz selbstverständlich und meist ohne jegliche Relativierung, die einem Wissenschaftler gut zu Gesicht stünde, gepredigt.
Bei einem völligen Durchfall auf der inhaltlichen Ebene sind es letztlich allein die zahlreichen Bilder des auf hochwertigem Papier gedruckten Bandes, die an diesem einen gewissen Wert besitzen. Aber, diese Hypothese wage ich, solche dürften sich auch in inhaltlich qualifizierteren Werken finden.

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