Sie sind die Mutter aller Verschwörungstheorien: Die angeblichen Mitschriften von Vorträgen, die den Plan der Juden zur Erringung der Weltherrschaft skizzieren – die sogenannten Protokolle der Weisen von Zion. Obwohl schon vor über hundert Jahren als Fake entlarvt, erfreut sich dieses antisemitische Pamphlet auch heute noch großer Beliebtheit bei Nazis, Verschwörungstheoretikern und anderen radikalen Spinnern (wer das nicht glaubt, der lese nur einmal die anderen Amazon-Rezensionen dazu). Doch ist das umso mehr ein Grund, auch als Nicht-Antisemit Bescheid zu wissen über dieses Machwerk und seine Hintergründe. Eine Möglichkeit dazu bietet die kommentierte Ausgabe unter dem Titel „Die Protokolle der Weisen von Zion: Die Grundlage des modernen Antisemitismus – eine Fälschung“, herausgegeben von Jeffrey L. Sammons.
Zunächst einmal enthält das Buch auf 128 Seiten den kompletten Text der berüchtigten Protokolle. Was darin steht, scheint manchmal in der Tat verführerisch naheliegend, glaubt man doch so manches nur allzu leicht in der Politik der Vergangenheit und Gegenwart wiederzuerkennen. Mehr noch aber ist das Werk denkbar plump und durchschaubar, zumindest für den unvoreingenommenen Leser. Es sollte eigentlich leicht zu erkennen sein, mit welcher Intention die Protokolle verfasst wurden – zum einen natürlich, um das ewige Feindbild Weltjudentum als unsichtbare Macht des Bösen zu bedienen, vielleicht mehr noch aber als Verherrlichung der Monarchie, zu deren Zeiten das Werk entstand, und somit als Pamphlet gegen die sich ausbreitende Demokratie. Doch zuallererst sind die Protokolle denkbar zäh und öde, gerade wenn es an die Vorträge zum Thema Wirtschaft geht.
Neben dem Originaltext enthält das Buch ein Einleitungskapitel und ein kürzeres Nachwort. Ersteres skizziert kurz und übersichtlich, aber eingehend genug die Entstehung und Geschichte der Protokolle – so etwa die oft vernachlässigte Tatsache, dass diese sich in direkter Linie aus mehreren ursprünglich fiktionalen Texten (einem Sensationsroman und einem philosophischen Streitgespräch) herleiten. Die Anmerkungen im Text halten sich letztlich in angenehmen Grenzen, doch werden hier an einigen Stellen in den Fußnoten Auszüge der Vorbildtexte gegenübergestellt, was (ebenso wie ein längerer Auszug am Ende des Buches) als fundierte Beweisführung für den eben genannten wahren Ursprung der Protokolle dient. Und obwohl bereits auf dem Cover plakativ der Begriff „Eine Fälschung“ steht, wohl um keinen Zweifel an der kritischen Intention der Publikation zu lassen, geht die Einleitung gleich in den ersten Sätzen darauf ein, wie missverständlich diese Bezeichnung eigentlich ist – impliziert „Fälschung“ doch für gewöhnlich ein zu imitierendes Original. Was die Rezeptionsgeschichte der Protokolle nach dem 2. Weltkrieg angeht, bleibt das Einleitungskapitel aber leider sehr knapp; hier hätte man sich mehr wünschen können. Einziger Kritikpunkt bleibt die doch oft extrem wertende, ja abfällige Ausdrucksweise, was die Protokolle und ihre Rezipienten angeht. Ich schließe mich diesen Betrachtungen zwar uneingeschränkt an – doch hat ein solcher Stil in einem seriösen Sachbuch eigentlich nichts verloren und sollte allenfalls in sehr geringem Maße auftreten. Man muss dem Leser wohl kaum klarmachen, wie böse Antisemitismus mit all seinen Ausdrucksformen ist, gilt dies doch hierzulande weitgehend als Grundkonsens.
Natürlich wird auch diese Ausgabe nicht verhindern können, dass die Protokolle weiterhin von vielen Menschen ernst genommen werden. Nicht zuletzt dürften sie deshalb trotz der Widerlegung des jüdischen Ursprungs nachhaltig so beliebt sein, weil sie schon vor über hundert Jahren Leute ein detailliertes Konzept zur Erringung der Weltherrschaft skizzierten, das man mit einer verschwörungstheoretischen Grundhaltung nur allzu leicht in realen politischen Entwicklungen wiedererkennen kann – letztlich sind die Protokolle eben der Prototyp eines Plans zur unterschwelligen Errichtung einer Neuen Weltordnung. Ein (zumindest oberflächlich) einleuchtender Plan, den man letztlich jeder gerade bevorzugten Partei angeblicher Verschwörer anlasten kann, ob jüdisch oder nicht. Ganz abgesehen natürlich davon, dass echte Anhänger solcher Positionen auch mühelos einen gedanklichen Weg finden, die Entstehung doch trotz aller Fakten wieder den Juden zuzuschieben.
Das wird sich schwerlich ändern lassen – doch immerhin trägt die vorliegende Ausgabe für alle Anderen zur Aufklärung bei. Kurz und knapp und ohne eine Seite zu viel bietet sie alles, was von ihr zu erwarten wäre – eben den Grundtext dieser leider kulturhistorisch nur allzu relevanten Schrift nebst fundierten Erläuterungen zu ihrem Ursprung, ohne dass der pejorative Stil die Qualität nennenswert mindern würde.