Der Psychopath in mir

James Fallon, Autor des vorliegenden Buches, ist erfolgreicher Wissenschaftler auf dem Gebiet der Neurologie, Familienvater und sozial geachtete Person. Umso größer die Überraschung, als er in einem Stapel von Hirn-Scans einen solchen entdeckt, der typische Merkmale eines Psychopathen aufweist – und, wie sich herausstellt, ausgerechnet sein eigener ist.
„Der Psychopath in mir: Die Entdeckungsreise eines Naturwissenschaftlers zur dunklen Seite seiner Persönlichkeit“ mag vielleicht eines der herausragendsten Werke zu diesem Thema sein – ein Buch über Psychopathen, geschrieben von einem grenzwertigen („prosozialen“) Psychopathen. Denn auch wenn wir bei dieser so gerne unwissend benutzten Diagnose sogleich das Bild eines blutigen Serienmörders vor Augen haben, so ist die Thematik doch viel komplexer, wie Fallon hier eindrucksvoll darlegt. Zunächst weist er den Leser in die Grundzüge der Thematik ein, wozu allein schon einmal die Problematik des Begriffs gehört. Der so erstaunlichen Selbstkenntnis folgt ein autobiographischer Teil, in dem er grob sein ganzes bisheriges Leben schildert. Die große, stets im Hintergrund stehende Frage ist natürlich: Was genau macht einen Psychopathen? Die Gene oder doch das soziale Umfeld? Fallon, der stets von ersterem überzeugt war, muss seine Meinung bald revidieren, besitzt er selbst doch die perfekten neuronalen und genetischen Anlagen, ohne aber selbst ein „vollwertiger“ Psychopath (im Sinne eines antisozialen Verbrechers) zu sein. Wir bekommen auch eine kleine Einführung in die Neurologie geboten – was den Normalsterblichen überwiegend verwirren dürfte – und ebenso in die genetischen Hintergründe des Persönlichkeitsbildes, das wir als Psychopathie bezeichnen. Schließlich analysiert Fallon sich abermals selbst, vor allem in Hinblick auf sein Denken und Sozialverhalten. Schließlich geht er auch noch auf zwei andere wichtige Fragen ein: „Kann man einen Psychopathen ändern?“ und „Warum gibt es Psychopathen?“.
Im Endeffekt lässt sich das Buch nur als brillant bezeichnen. Es gibt keine Schilderungen der grässlichen Verbrechen irgendwelcher Serienmörder, wie es bei dem Thema vielleicht erwartet wird. Stattdessen erfährt man, was Psychopathie eigentlich ist, wie sie (vermutlich) verursacht wird und vor allem, wie sie sich äußert. Keiner könnte das besser untersuchen als James Fallon, Experte und Studienobjekt in einer Person. So gelingt es, auch einmal den weniger beachteten Typus zu beleuchten: den „prosozialen Psychopathen“, also einen solchen, der kaum jemals destruktiv agiert, sondern als eine ausnehmend sympathische Person erscheint. Erstaunlich ist schon, an wie vielen Ereignissen und Charakterzügen sich die Diagnose am Ende belegen lässt, was dem Betroffenen aber erst infolge des unmissverständlichen Hirnscans überhaupt auffällt. Auch als einer, der sich sonst mehr für das große Ganze als für Einzelschicksale interessiert, fand ich den autobiographischen Anteil höchst interessant, hinzu kommt natürlich die differenzierte und fundierte Untersuchung der genetischen, neuronalen und sozialen Ursachen.
Viele Bücher sind gut, manche sind genial. Dieses indes würde zu jenen wenigen zählen, die man wirklich gelesen haben sollten, weil es das Verständnis unserer Gesellschaft und ihrer Individuen grundlegend verbessert. Und überhaupt – was kann es besseres geben als einen brillanten Geist mit gewissen Macken, der sich selbst analysiert?

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