Glauben Sie auch noch an den lieben Gott? Wenn ja, muss ich Sie enttäuschen: Er hat nie existiert.
Dass das Alte Testament ein paar unschöne Stellen hat, ist weithin bekannt – dass diese Stellen aber den größten Teil ausmachen, weniger. (Kleiner Fun Fact: Allein der Block der Vernichtungsphantasien im Buch Ezechiel ist umfangreicher als das gesamte Markus-Evangelium.) Das merkt man schnell, wenn man die Bibel durchliest. Aber wer tut das schon? Für all diejenigen, die sich dem nicht stellen wollen, gibt es jetzt jedoch eine Alternative: „Der Glaubenswahn – Von den Anfängen des religiösen Extremismus im Alten Testament“ von Heinz-Werner Kubitza. Nachdem das Neue Testament schon in einem anderen Werk auseinander genommen wurde, gibt es hier die penible Auseinandersetzung mit dem älteren und weit größeren Teil der Bibel. Im Wesentlichen ist „Der Glaubenswahn“ eine systematische und kommentierte Herausstellung all der Stellen, die ein guter Christ lieber nicht so gerne hört – also all jene, die Gott etwa als Sadisten, Rassisten, Narzissten, Doppelmoralisten, Massen- und Völkermörder, erbärmliche Witzgestalt oder Sexualstraftäter zeigen. Da liest man von all den zahlreichen Massakern, die jener in den Texten des AT beging oder anordnete, seinen endlosen Hasstiraden und seinen mehr als krankhaften Vernichtungsphantasien, seinen absurden Gesetzen, vom pathologischen Geisteszustand seiner Propheten und ihren nie in Erfüllung gegangenen Prophezeiungen – alles belegt mit zahlreichen ausgewählten Bibelzitaten. Doch dabei bleibt es nicht, denn auch die Ursprünge dieser heutzutage ethisch nicht mehr haltbaren Stellen werden erläutert: die Konkurrenz verschiedener religiöser Strömungen im antiken Israel, von denen sich letztlich die radikalste durchsetzte; die unterschiedlichen Intentionen und Erzähltraditionen, die zu einem oft widersprüchlichen Textgemenge führten und so weiter. Auch mit anderen Mythen als dem vom guten Gott wird aufgeräumt, etwa jenem, das Alte Testament deute auf Jesus hin. So ist das Werk letztlich nicht nur eine Anklage gegen den fiktiven Gott der Christen und Juden, sondern auch und vor allem gegen die Akteure und Prozesse, die ihn erst geschaffen haben. Regelmäßig geht der Autor in polemischer Weise auf die Gläubigen und ihre Geistesverrenkungen ein, mit denen sie mehr schlecht als recht ihr Weltbild aufrecht zu halten versuchen. Das stimmt zwar alles, doch leider wiederholt sich Kubitza dabei öfters und wirkt, obwohl richtig liegend, wenig sachlich. Auch wenn der Grundton natürlich unvermeidlich einer bestimmten Richtung folgt und dabei (wie eigentlich jede Argumentation) selektiv vorgeht, verzichtet der Autor nicht darauf, sich die Frage danach zu stellen, was an der Bibel noch wertvoll oder bewahrenswert sein mag – was letztlich wenig ist, aber immerhin etwas. Ansonsten indes ist keinerlei Kritik notwendig – es präsentiert sich dem Leser ein penibel recherchiertes Werk, das zugleich unterhaltsam zu lesen ist. Wer die Bibel noch nicht kennt (und damit seid insbesondere ihr gemeint, ihr sogenannten Christen), der sollte es lesen – und wer sie doch kennt, der wird immer noch vieles an erhellenden Hintergrundinformationen daraus mitnehmen.