Die „Bibel“ gilt als größter Klassiker der Fantasy-Literatur, die Verkaufszahlen stellen sogar „Harry Potter“ und den „Herrn der Ringe“ in den Schatten. Trotzdem scheint kaum jemand dieses Buch wirklich gelesen zu haben. So fragte ich mich also schon seit längerem, was angeblich so viele Menschen daran finden. Nach der Lektüre kann ich hiermit allerdings nur nach wie vor verkünden: Ich weiß es nicht.
Zunächst einmal zur Handlung (Achtung Spoiler):
Bei „Bibel“ handelt es sich um eine Anthologie, an der diverse (bezeichnenderweise oft anonyme) Autoren mitarbeiteten. Die Handlung erstreckt sich über mehrere Jahrhunderte und ist überwiegend im antiken Israel angesiedelt. Im Grunde genommen geht es um ein übernatürliches Wesen (abwechselnd als Gott, der Herr, Zebaoth und anderes bezeichnet), das wiederholt Pakte mit den Menschen schließt – doch diese erweisen sich nur allzu oft als Büchse der Pandora. Das erste Kapitel „Genesis“ handelt vor allem davon, wie Gott die Welt und ihre Bewohner erschafft, woraufhin sich die verschiedenen Völker des alten Orients herausbilden. Mit einem Nomadenfürsten namens Abraham schließt er schließlich seinen ersten fatalen Bund – zugleich lässt sich durch die eindrucksvolle Zerstörung der Städte Sodom und Gomorrha das Wutpotenzial Gottes erahnen, das im Folgenden noch eine große Rolle spielen wird.
Einen zweiten Bund schließt er Jahrhunderte später mit Mose, einem geflohenen Mörder, dessen Volk in Ägypten in der Sklaverei lebt. Durch eindrucksvollen Einsatz übernatürlicher Mittel wird das geknechtete Volk Israel wenig später befreit und auf einen Vernichtungsfeldzug in ihr zukünftiges Siedlungsland an der levantinischen Küste geführt. Danach muss man mit Resignation feststellen, dass sich über aberhunderte von Seiten immer dieselbe Handlung zu wiederholen scheint: Gott hat die Israeliten mit seinem Bund in eine fatale Knechtschaft gezwungen, die jene aber nicht davon abhält, regelmäßig eidbrüchig zu werden und sich anderen Göttern zuzuwenden. Infolgedessen erscheinen Propheten, die dieses Tun anklagen und Prophezeiungen der Vernichtung aussprechen – welche in der Regel auf dem Fuße folgt. Dieses Schema wiederholt sich vom Kapitel „Buch der Richter“ bis zu den letzten prophetischen Büchern unzählige Male und wird zunehmend ermüdend – es scheint wirklich, dass die Autoren bereits ihr ganzes kreatives Potenzial in der Exodus-Erzählung verbraucht hatten und dann nur noch weiterschrieben, um möglichst viele Seiten zusammenzubekommen. Nach etwa drei Vierteln des Buches gibt es dann noch einmal einen Hoffnungsschimmer: Mit Jesus von Nazareth, genannt Christus, taucht ein neuer Protagonist auf, der sich erfrischend von den zahlreichen früheren Propheten unterscheidet. Er bezeichnet sich selbst als Sohn Gottes und überdies als Messias – der große Retter, dessen Kommen in manchen der vorigen Bücher schon angedeutet worden war. Mit ihm nun nimmt der ganze Bund einen metaphysischen Charakter an – hatte Gott zuvor noch gnadenlos alle ausradiert, die seine Gebote brechen, wartet er nun auf deren Tod und überantwortet sie daraufhin ewigen Qualen in einer jenseitigen Folterwelt, der sogenannten „Hölle“. Mit der Aussicht auf ewiges Leben indes versucht er die Gläubigen zu ködern, nachdem dem vorigen Bund kein sonderlicher Erfolg beschieden war. Doch auch hier bleiben die Autoren letztlich hinter ihren Möglichkeiten zurück und verlieren sich in Wiederholungen – tatsächlich wird die Lebensgeschichte von Jesus mit geringen Variationen vier Mal erzählt! Auch tut Jesus trotz all seiner Kräfte nichts anderes, als durch die Gegend zu wandern, zu predigen und regelmäßig Wunder zu vollbringen – kein Interesse daran, weltpolitisch etwas zu verbessern. Darauf folgt noch eine Reihe von Briefen der Apostel (der Nachfolger Jesu nach dessen gewaltsamen Tod), die zwar das theologische Konzept noch weiter aufbauen und den Grund der Hinrichtung Jesu etwas erhellen, aber denkbar irrelevant für die Handlung sind. Noch mehr enttäuscht dann das letzte Kapitel, „Die Offenbarung des Johannes“. Anscheinend wussten die Autoren wirklich nicht, wie sie die Geschichte zu Ende bringen sollten, also wird hier einfach noch einmal ein Trash-Feuerwerk von Katastrophen, Ungeheuern und Gemetzel präsentiert, das – wie könnte es auch anders sein – mit dem allumfassenden Triumph Gottes endet.
Letztlich könnte das Werk enttäuschender kaum sein. Es fehlt an einem roten Faden, Spannung kommt niemals auf, auch Humor fehlt völlig. Am schlimmsten wiegen vielleicht die endlosen Passagen, in denen in ellenlangen Wiederholungen Vernichtungs- und Heilsprophezeiungen, Lobpreisungen Gottes und dessen unsinnige Gesetze referiert werden – diese langweiligen Füllpassagen, die das Werk auf weit über tausend Seiten aufblähen, hätte man getrost weglassen können.
Hinzu kommt die inhaltliche Inkonsistenz. Es scheint wirklich so, dass ein Autor nicht wusste, was der andere schreibt. So zeigen sich haufenweise Widersprüche und Dopplungen: Schon ganz am Anfang wird einmal erzählt, der Mensch werde als Mann und Frau direkt nach den Tieren erschaffen, im nächsten Kapitel ist es dann erst der Mann, dann die Pflanzen und Tiere und zuletzt die Frau. Und obwohl diese beiden der Geschichte zufolge die ersten Menschen sind, kann ihr Sohn Kain wenig später einfach in ein anderes Land gehen und eine Frau heiraten. Dann bei der Sintflut heißt es einmal, es seien zwei Tiere von jeder Art in die Arche zu nehmen, wenig später sind es dann (genau aufgezählt) wesentlich mehr. Schließlich sind da noch die Bücher der Chronik, die einfach noch einmal dieselbe Geschichte der letzten Kapitel nacherzählen, aber auch hier mit diversen Widersprüchen. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen.
Auch um die historische Genauigkeit ist es mager bestellt: Obwohl weite Teile des Werkes sich um einen historischen Rahmen bemühen, verbleiben fatale Schnitzer wie etwa der babylonische König Belsatzar, der tatsächlich nie König, sondern nur Stellvertreter seines Vaters Nabonid war.
Es besteht zudem ein Mangel an positiven Identifikationsfiguren – alle in der Handlung als Helden inszenierten Gestalten sind durchweg verabscheuungswürdige Psychopathen und Massenmörder, mit denen eine Identifikation unmöglich ist. Mose etwa wird zunächst gemäß dem klassischen Topos der Heldenreise zum Protagonisten aufgebaut, doch später wandelt er sich zum skrupellosen Schlächter und Völkermörder, der an der Spitze seines befreiten Volkes auf der Suche nach Lebensraum (eine Allegorie auf den Nationalsozialismus?) ganze Völkerschaften ausrotten lässt, zugleich aber auch an seinem eigenen Volk Massaker begeht. Ganz ähnlich versucht man später auch den (zukünftigen) König David als Held aufzubauen – doch outet auch dieser sich schließlich als Völkermörder, der dem Dritten Reich alle Ehre gemacht hätte (2. Samuel 12,31), zudem als Vergewaltiger und Exhibitionist (2. Samuel 6,20). „Gott“ indes, als einzige Figur im ganzen Buch präsent, überbietet alle anderen an menschenverachtender Grausamkeit: Er nutzt die Notlage eines geknechteten Volkes aus, um dieses an sich zu binden und ihm kaum einhaltbare Gesetze aufzuzwingen, wobei er Nichteinhalten mit Katastrophen jeder Art bis hin zum Genozid sanktioniert. Kaum besser sieht es aus, wenn die Leute ihm zu Diensten sind – dann nämlich hetzt er sie zu ebenso verheerenden Vernichtungskriegen gegen andere Völker. Im späteren Teil, dem „Neuen Testament“ um Jesus (in dem Gott selbst gar nicht direkt auftaucht), hält er sich mit solch offensichtlichen Grausamkeiten zurück und kultiviert stattdessen seine Hölle, die viel größere Gräuel für alle bereithält – freilich bis zur „Offenbarung“, da Gott sich aller aufgestauten Vernichtungsträume Luft macht und in wenigen Schritten fast die gesamte Menschheit ausmerzt. Das liest sich wie die Fantasien eines präpubertären Zehnjährigen mit arg bedenklichem Geisteszustand. Als einziger nicht direkt gewalttätig ist Jesus – doch dieser erscheint als völlig überzeichneter Charakter, ein Moralist und Übermensch ohne menschliche Regungen, die eine Identifikation ermöglichen würden, schier unerträglich mit seinen selbstgerecht-narzisstischen Vorträgen (gerade in der Johannes-Version seiner Geschichte, in der er fast nur damit beschäftigt ist, allen gegenüber seine Göttlichkeit zu betonen).
Eine Gegenseite zu all diesen Verrückten wird nicht dargeboten – die wenigen Abweichler werden kollektiv als bösartige Untermenschen dargestellt (natürlich nie individuell charakterisiert) und in der Regel schnell wieder entsorgt. Man fragt sich schließlich wirklich, ob all dies eine bitterböse Satire sein soll, eine Dystopie in Tradition von Orwells 1984, zu der man selbst seine Schlüsse ziehen kann, oder ob das Werk tatsächlich der Erguss einer Reihe krankhafter Psychopathen und Sadisten ist. Für ersteres finden sich erschreckend wenig Belege, tatsächlich überhaupt keine.
In Anbetracht dessen kann dieses Werk definitiv als höchst fragwürdig gelten. Für Kinder ist es definitiv nicht geeignet; Jugendliche sollten es nur bei ausreichender Reife und Reflexion konsumieren – womöglich dürfte hier in der Tat ein ziemliches Potenzial ethischer Desorientierung vorliegen. Tatsächlich erfüllt die „Bibel“ nicht nur einen, sondern eine ganze Reihe von Kriterien, die die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien für eine Indizierung aufgestellt hat: Anreizen zu Gewalttätigkeit (fast das gesamte Alte Testament, besonders plakativ etwa das Buch Josua), Anreizen zu Rassenhass (z.B. 5. Mose 20, 16-17 sowie in weiten Teilen des Alten Testaments), Nahelegung von Selbstjustiz (z.B. die Erzählung über die Mörderin Jaël in Richter 4,21) und nicht zuletzt Unsittlichkeit (z.B. die vom Ehemann des Opfers nicht nur gleichgültig hingenommene, sondern erst ermöglichte Massenvergewaltigung mit tödlichem Ausgang in Richter 19). Wenn jemals ein Werk die Indizierung verdient hat, dann dieses. Die beiden „Bücher der Makkabäer“, von denen das zweite ein wahres Splatterfest in Saw-Tradition darlegt, sind nur in einigen Ausgaben des Werkes enthalten, doch wirkt diese Zensur bei all den anderen gewaltverherrlichenden Stellen bestenfalls heuchlerisch. In Anbetracht dessen ist es fast als positiv anzusehen, dass das Buch durch die schier endlosen Traktate der Ödnis (s.o.) fast unlesbar wird und daher nur von den wenigsten entsprechend durchgelesen werden dürfte.
Fazit: Es ist absolut unverständlich, wie sich dieses Machwerk zu einem Bestseller hat entwickeln können. Nicht nur ist es unerträglich öde, sondern auch durch zahllose Widersprüche und Wiederholungen handwerklich miserabel, darüber hinaus vollgestopft mit unzähligen Abartigkeiten eines menschenverachtenden Weltbildes, die es als moralisch höchst fragwürdig erscheinen lassen.