Als der Mensch die Kunst erfand

Vor etwa 40.000 Jahren tauchte in der menschlichen Geschichte zum ersten Mal etwa auf, das heute aus unserer Kultur nicht mehr wegzudenken ist: Figürliche Kunst. Die ältesten solcher Relikte entstammen den Höhlen der Schwäbischen Alb und umfassen solch berühmte Stücke wie die „Venus vom Hohlefels“ und den „Löwenmenschen von Hohlestein-Stadel“. 2017 erschien als großformatiger Überblicksband zu den Funden das Buch „Als der Mensch die Kunst erfand“ im Theiss-Verlag, das 2019 erneut als überarbeitete und nun kostengünstigere Jubiläumsausgabe (mit orangenem Rand!) erschien. (Anders als etwa das im gleichen Zug neu erschienene Kelten-Buch handelt es sich bei letzterer jedoch noch immer um ein Hardcover.)
Auf nicht ganz 200 Seiten geben Nicholas J. Conard und Claus-Joachim Kind einen umfassenden und gut verständlichen Überblick über die spektakulären archäologischen Funde aus dem Aurignacien, jener Kulturstufe der Eiszeit vor etwa 30 – 40 000 Jahren: Am bekanntesten ist zweifellos der in der Stadel-Höhle des Hohlensteins gefundene Löwenmensch, der nach mehrfacher Restaurierung und Auslandstournee inzwischen wieder im Stadtmuseum Ulm zu bestaunen ist – mit etwa 31 cm Höhe die mit Abstand größte paläolithische Figur der Schwäbischen Alb. Zwei kleinere, weniger bekannte Figurinen zeigen ähnliche Mischwesen mit Menschenkörper und Löwenkopf. Rekordhalter als weltweit älteste figürliche Menschendarstellung ist die adipöse „Venus“ von jenem Berg, der je nach Quelle wahlweise als Hohler Fels, Hohlefels oder Hohle Fels bezeichnet wird. Nicht weniger beeindruckend bleiben zweifellos die zahlreichen Tierdarstellungen vom Vogelherd und anderen Höhlen des Ach- und des Lohnetals – die beeindruckendsten darunter mehrere Höhlenlöwen, das auch auf dem Cover abgebildete „Vogelherdpferd“, eine meisterhaft geformte Ente oder Gans sowie mehrere realistisch gearbeitete Mammuts, die die Lebendgestalt jener berühmten Riesen des Eiszeitalters vor Augen führen. Eine weitere bemerkenswerte Fundgattung stellen mehrere Flöten aus Knochen und Elfenbein dar, die ältesten erhaltenen Musikinstrumente der Welt.

Als der Mensch die Kunst erfand
Das Buch lässt keines der zahlreichen Kunstobjekte aus, sondern widmet allen eine zumindest kurze Beschreibung samt hochwertigen Fotos, aufgeteilt nach den verschiedenen Höhlen. Ein nicht weniger großer Teil ist Ausführungen zum Kontext gewidmet – der Forschungsgeschichte, Fragen und Diskussionen der wissenschaftlichen Interpretation sowie den kleineren Befunden wie etwa einer Reihe von Schmuckperlen. Zumindest kurz behandelt werden auch die interessanten menschlichen Skelettreste aus verschiedenen Zeiten (u.a. Neandertaler, Mesolithikum und Neolithikum), die in mehreren Höhlen gefunden wurden und teils erstaunliche Forschungsgeschichten nach sich zogen (aktuell auch Thema der Ausstellung „Tod im Tal des Löwenmenschen“ im örtlichen Museum Blaubeuren). Weiteres Wissen um die Hintergründe der urgeschichtlichen Archäologie ist zum Verständnis des Buches eigentlich nicht vonnöten – in einem umfangreichen Einleitungsapparat werden noch einmal zusammenfassend das Phänomen der Eiszeit und die menschliche Entwicklungsgeschichte bis zum Jungpaläolithikum erläutert. Während dies ganz offensichtlich auf ein breites Publikum abzielt, behält die Darstellung der im Zentrum stehenden Funde der Schwäbischen Alb einen verständlichen und gleichzeitig recht präzisen Stil, der Laien und Vorgebildete gleichermaßen begeistern dürfte. So steht dann am Ende auch noch eine Literaturliste mit gleichsam wissenschaftlichen wie populärwissenschaftlichen Titeln zum Weiterlesen.
Unbestreitbar – die Eiszeithöhlen der Schwäbischen Alb sind eine der bedeutendsten paläolithischen Fundlandschaften nicht nur Deutschlands, sondern weltweit. „Als der Mensch die Kunst erfand“ bietet einen hervorragenden Überblick über nicht nur alle bedeutsamen Funde der Region, durch hervorragende Bilder in Szene gesetzt, sondern auch den Kontext, in dem sie entstanden, wiederentdeckt wurden und betrachtet werden müssen.

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