„Alraune: Die Geschichte eine lebenden Wesens“ gilt als eines der bekanntesten Werke des deutschen Schriftstellers Hanns Heinz Ewers (1871-1943). Und wie schon viele seiner Werke jenem durch ihre Thematisierung von Tod und Sexualität einen zweifelhaften Ruf einbrachten, so gilt dies auch für die Thematik von „Alraune“: Der Legende nach entsteht die Alraune genannte Pflanze, der magische Kräfte nachgesagt werden, aus dem auf die Erde fallenden Samen eines erhängten Verbrechers. Dies inspiriert den Professor ten Brinken und seinen verantwortungslosen Neffen Frank Braun dazu, den Prozess in Form der gerade erfundenen künstlichen Befruchtung nachzuvollziehen. Das scheint erfolgreich – eine mehr oder minder freiwillig angeworbene Prostituierte trägt den post mortem gezeugten Nachwuchs eines hingerichteten Mörders aus und es entsteht ein lebendes Mädchen, dem der allzu passende Name Alraune gegeben wird. Doch als Alraune nun heranwächst, bringt sie ihrem Ziehvater ten Brinken nicht nur Glück wie ihr botanisches Vorbild, sondern entwickelt sich auch zu einer äußerst manipulativen und bösartigen Gestalt. Jeder scheint dem attraktiven Mädchen zu verfallen – wo immer sie auftaucht, ist Übel die Folge…
Wie bei einem 1911 veröffentlichten Buch zu erwarten, ist der Schreibstil altmodisch – doch alles andere als zäh oder gar langweilig. Nicht nur liest sich das Werk durchweg flüssig und spannend, immer wieder hat es auch einen gewissen Humor. Ewers‘ Stil ist poetisch, dichterisch, doch der prosaischen Handlung stets angemessen, manchmal gar steigert er sich zu einem schieren Wahn, der den Leser mitreißt, wobei dieses in der Literaturkritik inflationär gebrauchte Wort es längst nicht mehr hinreichend beschreiben kann. Der Stil wie auch das Setting seiner Zeit tragen natürlich unweigerlich zur lebendigen Atmosphäre bei, wie man es bei zeitgenössischen Werken schwerlich bemerken kann. Eine ganze Reihe von Charakteren zieht sich dabei, sich entwickelnd, durch den ganzen Roman; Charakterisierung und vor allem Entwicklung sind wahrlich zu loben. Mehr ein Thriller denn ein phantastischer Roman ist „Alraune“ bei genauerem Hinsehen, so wie die Handlung sich stetig aufbaut und dabei unaufhaltsam der Eskalation entgegenstrebt. Gerade der letzte Teil der Geschichte zeichnet sich durch eine beachtliche Spannung und Unvorhersehbarkeit aus.
Einziger Kritikpunkt: Die paar Textblöcke an Anfang, Mitte und Schluss, die anscheinend eine Art Rahmenhandlung darstellen – diese sind so poetisch verfasst, dass sie keinen wirklich erkennbaren Sinn mehr ergeben.
„Alraune“ – der erste Roman von H.H.E., den ich bisher las – überzeugte letztlich auf ganzer Linie: Zu seiner Zeit sicher revolutionär, gar blasphemisch, stellt das Werk auch heute noch eine hervorragende Unterhaltung dar.