Motel der Mysterien

Wir schreiben das Jahr 4022. Durch Zufall macht der Amateurarchäologe Howard Carson, der sich zuvor vor allem durch zweifelhafte Experimente zur Erhöhung der Höckerzahl bei Kamelen einen Namen gemacht hatte, eine spektakuläre Entdeckung: Das „Motel der Mysterien“, eine Nekropole des geheimnisvollen Volkes der Yankees, das zweitausend Jahre zuvor auf rätselhafte Weise unterging. Zur allgemeinen Überraschung stößt Carson hinter einem uralten Siegel mit der mehrsprachigen Fluchformel „Do not disturb“ auf eine noch unberührte Grabkammer des frühen 21. Jahrhunderts, die viel über die kulturellen und religiösen Gewohnheiten der Yankees offenbart. Besonders die Nebenkammer enthielt zahlreiche Prachtstücke, so etwa die „heilige Urne“ aus Porzellan, vor der mutmaßlich kultische Gesänge abgehalten wurden, oder auch der wertvolle Sarkophag aus „Plasticus aeternus“, in dem sich ein Toter mit kultischer Haube fand.

David Macaulays Graphic Novel „Motel der Mysterien“ dokumentiert Entdeckung und Erforschung dieses bedeutsamen archäologischen Fundplatzes. Es ist wohl keine Übertreibung, das Werk als eine der grandiosesten Wissenschaftssatiren der Weltliteratur zu bezeichnen. Brillant ahmt Macaulray den Stil archäologischer Publikationen nach, Funde mit allerlei Fantasie – und im Zweifel stets als „kultisch“ – zu interpretieren, selbst solche profanen Objekte wie einen Badewannenstöpsel, der zum „magischen Amulett“ wird, oder ein rätselhaftes Behältnis mit der Aufschrift „ICE“, was natürlich nur „Innereien- und Cerebrum-Eimer“, also Aufbewahrungsort für die Organe des Toten, bedeuten kann.
Besonders sticht einem Macaulays Genialität ins Auge, vergleicht man die Bildkompositionen mit manch historischen Bildern – mit einiger Detailverliebtheit etwa wurden jene Fotos von der Öffnung des Grabes Tutanchamuns durch Howard Carter nachgestellt; auch auf manch andere berühmte Archäologen finden sich unzweideutige Bezüge.

Nicht zuletzt wurde das Buch zum Vorbild eines Teils der Ausstellung „Irrtümer und Fälschungen der Archäologie“ im LWL-Museum Herne, wo man eine ganze Reihe der Funde aus der geheimnisvollen Grabkammer präsentierte. Der dazugehörige Ausstellungsband bildet insofern eine geeignete Ergänzung zu der Graphic Novel, dass er in einem Beitrag von David Macaulay selbst so einige Hintergründe beleuchtet und schließlich auch noch eingehend das gesamte Inventar des Fundplatzes samt Fotos und Kommentar darstellt.
Für Gelehrte der Archäologie mag das Werk einen allzu guten Spiegel darstellen, der vor manch gewagter Überinterpretation warnt – diese aber ebenso wie jeder andere Leser werden auf jeden Fall ihren Spaß daran haben, denn bei aller fachlichen Brillanz ist das „Motel der Mysterien“ doch vor allem eines: Eine herausragend witzige Satire.

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