Grimm Fairy Tales: Bd. 1

Auf dem Cover des Comics ist Rotkäppchen dargestellt: Ein Samuraischwert in der Hand, deutlich sexualisiert gezeichnet. Die Erwartung, die daraus folgt, ist klar: Eine neue, moderne Adaption altbekannter Märchen, mit viel Action sicherlich, nebst gewissen Splatter-Einlagen und einer mehr oder minder latenten Erotik wahrscheinlich. Umso mehr, da die Werbung des Verlags auf der letzten Seite das Werk (bzw. die Serie) in direkten Kontext zu der entsprechend gearteten „Wonderland“-Reihe stellt.
Was man letztlich bekommt, ist dann aber doch um einiges harmloser. Eine Neuerzählung von sechs alten Märchen der Gebrüder Grimm – ein jedes eingebettet in eine moderne Rahmenhandlung mit inhaltlichen Bezügen zum entsprechenden Szenario. Stets steht eine Person vor einer ethischen Entscheidung und wird daraufhin über ein rätselhaftes Buch und dessen genauso rätselhafte Besitzerin mit dem entsprechenden Märchen konfrontiert. Wie erwartet, weicht die Nacherzählung der Märchen stets in gewissen Punkten vom Original ab – doch welche Maxime dahintersteckt, wird nicht richtig klar: Weder sind es, wie die Vermarktung des Werkes naheliegt, actionlastige Trash-Varianten der altbekannten Erzählungen, noch handelt es sich um die berüchtigten „unzensierten“ älteren Varianten vor der Edition durch die Brüder Grimm, auch ein erhöhter Realismus zulasten der übernatürlichen Märchenmotive ist nicht beabsichtigt. Abgesehen natürlich vom Unterschied zwischen bildlich dargestellter und (wie im Märchen) distanziert berichteter Geschichte sind die Neuinterpretationen nicht brutaler als das Original (vgl. etwa Rotkäppchen oder Hänsel & Gretel). Tendenziell vielleicht etwas tiefenpsychologischer, aber auch das nicht in größerem Maße ausgereizt, nicht zuletzt in der geringen Länge der einzelnen Episoden begründet. Vielmehr verbirgt sich hinter dem reißerischen Cover bloß eine leicht abgewandelte Nacherzählung der Märchen samt einem zwanghaft belehrenden modernen Kontext, der auf stereotype Figuren und plakative Handlungen setzt. Nicht nur die daraus abgeleiteten moralischen Leitlinien, sondern mithin auch der Vergleich als solcher sind durchaus diskutabel.
Und abseits des allgemeinen Erzählkonzepts? Der Unterhaltungswert ist eher mittelmäßig. Nicht als Euphemismus für miserabel, sondern wirklich mittelmäßig – es lässt sich ganz gut lesen, ohne den Leser aber jemals wirklich mitzunehmen. Spannung kommt schon allein deshalb kaum auf, weil man die meisten Geschichten ja in Grundzügen bereits kennt. Auch Zeichnungen & Bildsprache sind in Ordnung, aber weder in die eine noch die andere Richtung auffallend.
Im Fazit also: Beim Kauf erwartete ich etwas Anderes, stattdessen gibt es eben mittelmäßig gut aktualisierte und inszenierte Nacherzählungen von Märchen. Lesbar, aber macht nicht unbedingt Lust auf den zweiten Teil.

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