Eine kurze Geschichte der Menschheit

Das Sachbuch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ von Yuval Noah Harari stieg schnell zum Bestseller in diversen Kategorien auf. Doch verdient? Oder liegt es weniger an Fachkompetenz, als vielmehr an einem populistischen Inhalt?
Harari erklärt in diesem Werk nicht weniger als die Geschichte der Menschheit. Anders als in den meisten jener Chroniken betreibt er hier jedoch nicht vordergründig Ereignisgeschichte (Herrscher, Reiche, Schlachten…), sondern vielmehr eine Geschichte der menschlichen Entwicklungssprünge. Es beginnt mit der kognitiven Revolution vor mehreren zehntausend Jahren, als der Mensch sich erstmals merklich von anderen Menschenaffen abhob – und sofort begann, seine Verwandten zu verdrängen. Anschließend kommt mit der Sesshaftwerdung die agrarische Revolution, dann das Zusammenwachsen der Welt infolge von Kolonialismus und Globalisierung, schließlich noch die wissenschaftliche Revolution der letzten zwei Jahrhunderte.
Wenn jemand – und erst recht mit teils so plakativen Thesen, wie es hier geschieht – versucht, ein so breites Thema wie die Weltgeschichte zu erklären und auf wenige Grundsätze herunterzubrechen, dann sollte man grundsätzlich immer kritisch sein und nicht ohne Hinterfragen alles glauben, was als unzweifelhafter Fakt ausgegeben wird. Mangels Fachwissen kann ich den Großteil des Inhalts natürlich nicht erörtern – Harari aber schafft es jedenfalls, dass fast alles einen fundierten Eindruck macht. Die Gedankengänge folgen dem gesunden Menschenverstand, wenn nötig belegt etwa durch Funde und Statistiken, und führen doch zu mancherlei Erkenntnissen, mit denen man kaum gerechnet hätte: Wussten Sie etwa, dass die Entwicklung der Landwirtschaft die vielleicht größte Verarschung aller Zeiten war? Und dass jegliche Kultur darauf basiert, dass wir an Dinge glauben, die nicht da sind? Die Entstehung von Reichen und Religionen erklärt Harari ebenso wie die Mechanismen und Ursachen, aufgrund derer Europa sich in den letzten zweihundert Jahren zur Weltherrschaft aufschwingen und ein Zeitalter nie gekannten wissenschaftlichen Fortschritts einleiten konnte.
Doch auch bei aller Genialität, die das Werk meines Erachtens aufweist, bleiben natürlich einige Versäumnisse. Harmlos mutet noch an, dass Harari das Gilgamesch-Epos auf Seite 325 fälschlicherweise als „ältesten Mythos der Menschheit“ bezeichnet (obwohl dieses Jahrhunderte jünger ist als zahlreiche sumerische mythische Texte).
Wesentlich bedenklicher indes ist die Charakterisierung des Humanismus und seiner Spielarten. Die Weltanschauung des Humanismus, den Harari durch den Menschen als zentralen Bezugspunkt definiert (das ist zwar tendenziell richtig, in der Folge aber eine fatale Beschränkung), teilt er in die drei Spielarten des liberalen, sozialistischen (~Kommunismus) und evolutionären (~Sozialdarwinismus/Nationalsozialismus) Humanismus . Dies führt zu schier unfassbaren Begriffsverwirrungen: Der „evolutionäre Humanismus“ ist zwar humanistisch in dem Sinne, dass er sich auf den Menschen fixiert, und evolutionär in dem Sinne, dass er an dessen Weiterentwicklung interessiert ist – insofern könnte der Begriff allein von den Wortwurzeln her fast schon Sinn machen. Jedoch übersieht Hararai hierbei völlig, dass der Humanismus historisch fast immer gekoppelt war bzw. ist an Werte wie etwa (politische) Freiheit, Gleichheit und Menschenrechte. Während er die Freiheit dem liberalen und die Gleichheit dem sozialistischen Humanismus vorbehält, findet sich im „evolutionären Humanismus“ nichts mehr davon. Jener ist also humanistisch nach Hararis Definition von Humanismus, nicht aber nach der praktisch aller Humanisten. Überdies ist der Begriff „evolutionärer Humanismus“ schon vor einem halben Jahrhundert von Julian Huxley in einer gänzlich anderen Weise geprägt und von dessen Nachfolgern (beispielsweise Michael Schmidt-Salomon) in dieser verwendet worden – als Bezeichnung für eine Weltanschauung, die sich als humanistisch auf die Menschenrechte etc. beruft, die Erkenntnisse der Evolutionstheorie anerkennt und selbst bereit ist sich weiterzuentwickeln – letztlich also eine Philosophie, die Hararis „evolutionären Humanismus“ diametral entgegengesetzt ist. Dies könnte man vielleicht als eine unglückliche, aus Unwissenheit resultierende Begriffsverwirrung sehen – wenn dies nicht zum einen ein sehr schlechtes Licht auf Hararis Kenntnisse über moderne Weltanschauungen werfen und überdies die evolutionären Humanisten in die Ecke des (weder evolutionären noch humanistischen) Nationalsozialismus rücken würde. Was dieses Thema angeht, sei weiterführend noch der Kommentar „Die große Harari-Ver(w)irrung“ von Michael Schmidt-Salomon auf der Webseite der Girdano-Bruno-Stiftung empfohlen.
Freilich lässt sich für diese fatale Verfehlung kein eigener ideologischer Grund in Hararis Weltanschauung ausmachen. Ansonsten nämlich hält er sich (soweit ich es beurteilen kann) an die Fakten, betrachtet die Dinge selbst unter evolutionären Gesichtspunkten und kritisiert alle Weltanschauungen vom Christentum über den Humanismus, Kommunismus und Nationalsozialismus bis hin zum Kapitalismus gleichermaßen.
Bis auf die wirklich verunglückte Humanismus-Definition ist „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ jedoch ein hochinteressantes Werk, das einerseits Konzepte wie Religion, Imperien, Kapitalismus verständlich macht, andererseits teils ganz neue Zusammenhänge aufzeigt. Manche der darin vermittelten Erkenntnisse lassen das Potenzial erkennen, das Weltverständnis nicht nur zu verändern, sondern einen ganzen Sprung nach vorne zu bringen – wenn man all das doch nur einfach ernst nehmen könnte, ohne mit weiteren versteckten Fehlvorstellungen rechnen zu müssen.

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