Zwischen Koran und Kafka

Schon die Grundvoraussetzungen des Buches „Zwischen Koran und Kafka: West-östliche Erkundungen“ lassen auf ein interessantes, ja bedeutsames Werk hoffen: Der Autor, Navid Kermani, ist Deutsch-Iraner und versiert in der Geschichte beider (und nicht nur dieser) Kulturen; nun schreibt er über Literatur. Deutsche Literatur vor allem, mit dem Schwerpunkt auf Zusammenhängen und Parallelen dieser mit der orientalischen Kultur. Fünfzehn Kapitel – oder vielmehr selbstständige Aufsätze – sind es, in denen allerlei Facetten der Literaturgeschichte aufgezeigt und in neue Kontexte gestellt werden. Es geht um Goethe, Lessing und Wagner ebenso wie um den Koran, das schiitische Passionsspiel oder die moderne iranische, eben nicht islamische Literatur von Hedayat. Tatsächlich ist eben genanntes Leitthema nicht durchgehend präsent; es wäre sogar zu weit gegangen, von einem homogenen Werk zu sprechen, sind doch manche Kapitel ursprünglich etwa Reden zu bestimmten Anlässen – doch reihen sich auch und insbesondere diese hervorragend in das Gesamtwerk ein.
Auffallend ist der Sprachstil des Buches: Es ist nicht der nüchtern-sachliche Stil der meisten anderen Sachbücher, sondern ein nur allzu literarischer, mithin poetischer. Wie jedes Werk lässt sich auch „Zwischen Koran und Kafka“ nur verstehen und bewerten, wenn man dessen Grundphilosophie, dessen Anspruch an sich selbst erkennt. Es will ganz offenkundig keine Wissenschaft sein und würde an deren Maßstäben auch hoffnungslos scheitern, ist das Werk doch, wenn auch voller Informationen, so doch durchweg subjektiv und emotional. Wertungen sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel, persönliche Anekdoten des Autors ebenso zu finden wie Exkurse ins Seelenleben der besprochenen Autoren. Es sind eben Essays (oder Reden), die weniger konkretes Wissen darlegen oder zu einer Schlussfolgerung gelangen wollen, als vielmehr Themen subjektiv und in neuen Facetten beleuchten, geführt nicht von Dramaturgie oder wissenschaftlicher Methodik, sondern abschweifend, sich von den Gedanken des Autors treiben lassend.
Dieser Stil bringt unweigerlich mit sich, dass man mit dem Autor mal einverstanden, mal weniger einverstanden ist, ihn mal bewundert, sich ein anderes Mal über ihn aufregt. Da sind auf der einen Seite etwa intelligente Gedanken zum Thema Nationalismus, von Lessing bis zum NSU, zu nationaler Identität gerade deutscher Kultur, oder auch die schonungslos realistische Schilderung der afrikanischen Flüchtlingsbewegung – Kapitel, bei denen nicht nur die konkreten Informationen, sondern ebenso die Gedankengänge den Leser bereichern. Auf der anderen Seite zeigt sich, wenn es um Religion geht, neben beträchtlicher Bildung auch eine gewisse Verblendung. Es geht nicht im Entferntesten darum, dem Muslim Navid Kermani seine Interpretation des Islams, nämlich eine individuelle, friedliche und metaphorische, mithin pantheistische, fast mystische, vorzuhalten und dem die These von der grundsätzlich gewalttätigen und faschistischen Orientierung der Religion, sprich dem Fundamentalismus als „wahrem Islam“, entgegenzusetzen, wie sie im Westen und auch im Islam selbst weit verbreitet ist. Es ist unmöglich, eine von beiden Interpretationen empirisch als die „richtige“ oder „wesenhaft islamische“ zu identifizieren – sehr wohl aber kann man Kermani dafür kritisieren, dass er in seiner lobenswert humanistischen Orientierung die seine als ebensolche darstellt, ohne die unbestreitbare Pluralität der Islambilder zu beachten. Ebenso ist auch die Einstellung zum Christentum nur allzu positiv, ja naiv, wird doch die Bibel (nicht die wie auch immer definierten „christlichen Werte“, nein die konkrete Bibel) als Fundament des westlichen Humanismus dargestellt, wo diese ihm doch faktisch eher entgegensteht. Hier zeigt sich im Fazit der größte Kritikpunkt an dem Werk bzw. der dahinterstehenden Geisteshaltung des Autors: Nicht nur sind viele Gedanken des Buches subjektiv – das ist nicht nur Recht, sondern gerade Pflicht im Rahmen der zugrundeliegenden Literaturgattung – sondern mehr noch, das Subjektive wird oft genug gleichgesetzt mit absoluter Wahrheit. Das zeigt sich nicht nur in kontroversen Bereichen wie der Religion, sondern ebenso sehr beim Urteil über deutsche Theaterkultur und die Nachkriegsliteratur.
Doch auch dieser Kritikpunkt kann eine grundsätzlich positive Wertung des Werkes nicht verhindern: Nicht nur ist der bloße Stil Literatur in Höchstform, zudem bildet das Buch über so viele Ausschnitte deutscher und morgenländischer Kultur, regt nicht zuletzt immer wieder zum Nachdenken an. Ein Werk, zutiefst subjektiv und normativ, das aber nichtsdestotrotz einen wertvollen Beitrag zur kulturellen und vor allem interkulturellen Bildung leisten kann.

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