Providence: Bd. 1

Comic-Legende Alan Moore interpretiert Horror-Altmeister H. P. Lovecraft. Das weckt unweigerlich hohe Erwartungen. Laut Klappentext wird die neue Comic-Reihe „Providence“ sogar schon als „Watchmen des Horrors“ gefeiert.
Die Handlung ist relativ simpel: Der Journalist Robert Black hört von einem mysteriösen Buch, das ein Araber im 8. Jhd. über Alchemie schrieb (nein, nicht das Necronomicon, sondern nur daran angelehnt). Er versucht, die angebliche englische Übersetzung des Werkes zu finden, und begegnet auf seinem Weg durch New York und Neuengland nacheinander verschiedenen skurrilen Charakteren. Vier Abschnitte umfasst der erste Band, jeder angelehnt an eine Geschichte Lovecrafts. Dazwischen finden sich umfangreiche Textpassagen mit Tagebucheinträgen des Protagonisten, die aber wenig zur Handlung beitragen (neben Ideen zu eigenen literarischen Kompositionen rekapituliert Black vor allem das, was man gerade gesehen hat) und wegen der Pseudo-Schreibschrift anstrengend zu lesen sind.
Was ein gewaltiges Potenzial hätte, scheitert zumindest in Bezug auf den Unterhaltungswert. Wirkliche Spannung kommt nicht auf, die Handlung ist ziemlich dünn. Das Grauen in Alan Moores Werk ist subtil – ein Euphemismus dafür, dass keine der Szenen bis zur Auflösung bzw. Offenbarung des übernatürlichen Phänomens weitergesponnen, sondern stets vorher abgebrochen wird, um den Protagonisten zur nächsten Station zu schicken. Wer die zugrundeliegenden Lovecraft-Geschichten (etwa „Schatten über Innsmouth“ und „Das Grauen von Dunwich“) kennt, der weiß, worum es geht und worauf angespielt wird. Nicht-Lovecraft-Kenner dürften indes ziemlich ratlos vor dem Werk sitzen und sich fragen, wann es denn endlich losgeht. In der Tat liest sich das Werk wie eine Aneinanderreihung mehrerer Einleitungen vielversprechender Horrorgeschichten, mehr aber auch nicht. Hier offenbart sich ein nur allzu künstlerisches und innovatives Motiv, das der Protagonist im letzten seiner Tagebuchexkurse sogar indirekt auf den Punkt bringt: Im Gegensatz zu allen klassischen Horror- und Mystery-Geschichten geht der Protagonist eben nicht jeder Spur nach und deckt letztendlich das Grauen auf, sondern lässt die Anfangssituation so stehen und zieht weiter. Er wundert sich zwar, erklärt aber durchgehend bis zum Schluss alles nach seinem ursprünglichen Weltbild. Das ist natürlich eine interessante Idee und musste einmal ausprobiert werden – doch die mithin unrealistische Neugier aller klassischen Protagonisten kommt wohl nicht von ungefähr, bleibt bei Moores Ansatz doch jegliche Spannung aus. Natürlich kann man noch vielerlei andere Konzepte in das Werk hineininterpretieren – zweifellos hat der Autor sich auch so manches dabei gedacht. Hier aber sollen solch Interpretationen nicht über den Kern einer Bewertung hinwegtäuschen: Bis auf den angegebenen Aspekt des „hypersubtilen“ Horrors fügt Moore dem Lovecraft-Erbe nicht wirklich etwas hinzu, sondern kaut im Wesentlichen die Ideen des Altmeisters von neuem durch (ohne die letztendlichen Pointen). Es fehlt am Ende ein (zumindest vorläufiger) Abschluss der Geschichte; stattdessen kann man sich vorstellen, dass es endlos so weitergeht. Ohne Spannung, ohne wirklichen Horror, ohne Dramaturgie oder Pointen… Letztlich nur eine Reihe von Dialogen mit ziemlich geringem Gehalt, im Fluss noch behindert durch die seitenlangen, anstrengend zu lesenden Tagebuchpassagen. Durch die latente Homosexualität des Protagonisten und seine jüdische Abstammung soll diesem wohl Tiefe verliehen werden – doch diese und die Story laufen aneinander vorbei; es findet kein Dialog zwischen beiden Motiven statt: In den storyrelevanten Szenen, wenn man überhaupt davon reden kann, erscheint Black nur als farbloser Beobachter. Laut Rückseite des Comics ist das Werk ab 18 Jahren empfohlen, was aber wohl nichts mit Horror, sondern vielmehr mit ein paar Nacktszenen zu tun haben dürfte.
Die so angepriesene „Dekonstruktion“ Lovecrafts sehe ich nicht, nur eine weitere Hommage, die nicht eine der besten unter den so vielen ist. Hier bleibt Alan Moore sowohl hinter seinen eigenen Möglichkeiten als auch hinter der literarischen Vorlage zurück. Einzig Zeichner Jacen Burrows hat einen guten Job gemacht. Wer immer „Providence“ als „Watchmen des Horrors“ feiert – ich bin es nicht.

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