Dean Koontz‘ Frankenstein – Das Gesicht

Mal wieder adaptiert ein Autor den altbekannten Frankenstein-Mythos, den Mary Shelley vor nunmehr 198 Jahren begründete. Sowas geht immer, sei es als aufgewärmte Trivialkost oder brillante Neuinterpretation. Der erste Teil von Dean Koontz‘ Frankenstein-Serie „Das Gesicht“ ist wohl etwas von beidem.
Viktor Frankenstein ist entgegen der klassischen Geschichte nicht bei der Jagd nach seinem Monster gestorben; im Gegenteil – es ist ihm gar gelungen, durch seine mysteriöse Wissenschaft das eigene Leben auf eine unnatürlich lange Spanne zu verlängern. Inzwischen hat er, bekannt als Inhaber eines Biotechnologiekonzerns „Viktor Helios“, unzählige Exemplare der „Neuen Rasse“, wie die künstlichen Menschen genannt werden, geschaffen – und plant, damit die Menschheit zu infiltrieren und letztendlich zu ersetzen. Zugleich macht ein grausamer Serienmörder die Stadt New Orleans unsicher, welcher Körperteile seiner Opfer sammelt. Die Polizistin Carson O’Connor kommt den Schrecken nach und nach auf die Spur, schließlich unterstützt vom ersten von Frankensteins Ungeheuern, nun bekannt unter dem Namen Deucalion
Was vor allem an dem Roman von 384 Seiten gelobt werden muss, ist die detaillierte Charakterzeichnung. Während in den meisten Büchern die Nebenfiguren oft eindimensionale Facetten bleiben, erzählt der vorliegende Roman abwechselnd aus der Sicht diverser Figuren, allesamt mit einer recht vielschichtigen Persönlichkeit. Neben Carson O’Connor, ihrem sarkastischen Partner Michael Maddison, Viktor „Helios“ Frankenstein mit seiner totalitären Ideologie und dem durchaus interessanten Psychopathen sind dies gleich mehrere Exemplare der „Neuen Rasse“, allesamt mit ihren eigenen Problemen und ihren mehr oder minder erfolgreichen Bewältigungsstrategien: Deucalion, erster seiner Art, der im Laufe der Zeit eine immer menschlichere Persönlichkeit ausgebildet hat; der autistische Randal 6, der zwanghaft Kreuzworträtsel löst und verzweifelt nach einem Weg zum Glück sucht; Viktor Helios‘ künstliche Ehefrau Erica, die unter dem harten Joch seiner Herrschaft zunehmend eigene Gedanken hegt – und weitere, deren Erläuterung Spoilern gleichkäme. Wesentlich tiefer gehend als das Original behandelt die vorliegende Geschichte die Seelenwelt der „Monster“, ihre verzweifelte Suche nach Sinn und Erfüllung, den Widerstreit von freiem Willen und genetisch determinierter Knechtschaft, nicht zuletzt die Auseinandersetzung eines radikal-materialistischen Weltbildes mit dem emotionalen und mitunter religiösen der Menschen. Nichtsdestotrotz ist diese „innere Handlung“ nur ein Aspekt des Romans, in erster Linie handelt es sich um einen Krimi auf Science-Fiction-Basis. Dementsprechend brutale Szenen und Thematiken gibt es, wenn auch wohl kaum härter als in vergleichbaren Werken des Genres. Der Stil ist gewöhnlich, wenn nicht gar manchmal etwas flach, handelt es sich hier doch schließlich nicht um eine philosophische Abhandlung. Auch Humor kommt immer wieder vor, zuweilen auch für den Leser sehr belustigend.
Leider muss man bedenken, dass das Buch nur der erste Teil einer Serie von mittlerweile fünf Teilen ist – dementsprechend wird am Ende nur ein Teil der Handlung aufgelöst, andere Konflikte und Fragen bleiben bestehen. Ganz befriedigt ist der Leser am Ende also nicht, auch wenn dann immerhin die Angelegenheit um den Serienmörder geklärt ist.
Im Fazit also lässt sich „Das Gesicht“ zusammenfassen als ein spannender Roman, der vor allem durch die gute Charakterzeichnung auffällt und zugleich anspruchsvolle Themen in anspruchslosem Gewand behandelt. Oder in Kurzfassung – gute Unterhaltung.

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