Irrtümer und Fälschungen der Archäologie

Fand Heinrich Schliemann in Troia tatsächlich den Schatz des Priamos? Berichten Inschriften auf ägyptischen Skarabäen von der Erstumseglung Afrikas? Und wurde in Quedlinburg tatsächlich das Skelett eines Einhorns gefunden?
Vom 23.03. bis zum 09.09. fand im LWL-Museum für Archäologie in Herne die Ausstellung „Irrtümer und Fälschungen der Archäologie“ statt. Mit dabei: Zahlreiche Originale von mehr oder minder berühmten Funden der letzten Jahrhunderte, die sich als gefälscht oder falsch interpretiert herausstellten: Eine scheinbare „Bügelkrone“ aus einem Fürstengrab, die sich schließlich als Rand eines simplen Eimers entpuppte. Die sogenannten Necho-Skarabäen und zahlreiche andere neuzeitlich gefälschte ägyptische Altertümer, ebenso die vom Amateurarchäologen Johann Michael Kaufmann hergestellten „römischen“ Tonfiguren aus Rheinzabern. Die berühmte „Tiara des Saitaphernes“, deren Hersteller zwar außergewöhnlich begabt, doch kein Goldschmied der hellenistischen Zeit war. Ein Schädel, dessen Alter mal eben ein paar hunderttausend Jahre zu hoch datiert wurde, ein noch immer nicht identifiziertes Steinobjekt und nicht zuletzt eines der berühmten Hitlertagebücher des Fälschers Konrad Kujau. Allesamt Objekte, die ihrer Zeit manchen Archäologen und Historiker recht dumm dastehen ließen – und doch heute wieder von Interesse und wissenschaftshistorischer Relevanz sind. Highlight der Sammlung aber stellten – in Anlehnung an David Macaulays satirische Graphic Novel „Motel der Mysterien“ – eine Reihe von Funden dar, die der Archäologe Howard Carson im Jahre 4022 in einer Nekropole des untergegangenen Volkes der Yankees machte: Die durch ein magisches Siegel mit dem Bannspruch „Do not disturb“ verschlossene Grabkammer enthielt unter zahlreichen weiteren Funden etwa einen Altar (Fernseher), eine heilige Urne (Toilettenschüssel), mehrere wertvolle Ohrgehänge (Zahnbürsten) und ein magisches Amulett (Badewannenstöpsel).
Da es aber naturgemäß nicht jeder zu der (durchaus gelungenen) Ausstellung schaffen konnte und nicht zuletzt auch einige der Glücklichen ein gewisses Andenken begehren würden, erschien nebenher der gleichnamige und sehr schön aufgemachte Ausstellungskatalog. Das Werk ist in zwei Hälften geteilt: Die erste legt in relativ ausführlichen Kapiteln die Hintergründe zu den verschiedenen Themen der Funde dar, darunter auch eine Handvoll nicht in der Ausstellung vorkommende, die zweite Hälfte schließlich zeigt das gesamte Inventar der Ausstellungsstücke. An jenem Katalog ist nichts auszusetzen – ein jedes Objekt wird mit Foto, Grunddaten und einem erklärenden Text dargestellt, sodass man praktisch die gesamte Ausstellung in Buchform vorliegen hat. Und auch der Kapitelteil stellt sich als hervorragend heraus – jeweils von einem eigenen qualifizierten Forscher geschrieben, wird (mit Fußnoten!) fundiert und zugleich gut verständlich die Geschichte jedes Themas nacherzählt, von der mittelalterlichen Diskussion über Einhörner über die zahlreichen Fälschungen des 19. Jahrhunderts bis zu den Hitlertagebüchern und der fast noch aktuellen Affäre um den Schädel von Paderborn-Sande. Positiv hervorzuheben, obwohl natürlich in der zugrundeliegenden Ausstellung begründet, ist die Auswahl der Themen, von denen viele aus dem deutschen Raum stammen und trotzdem/daher weitgehend unbekannt sind, sodass man sich anstatt einer neuerlichen Exhumierung des Piltdown-Menschen und anderer „Klassiker“ interessanten neuen Funden konfrontiert sieht. Fachlich scheint nichts zu bemängeln sein; die Texte sind interessant und umfassend, Fragen bleiben keine offen. Einziger Durchhänger ist der Artikel um die „Würzburger Lügensteine“ (die nicht einmal in der Ausstellung auftauchten) – dieser ist völlig wirr und ohne konkreten roten Faden geschrieben, die Lügensteine selbst nur am Rande streifend, eine ziemliche Enttäuschung. Entschädigt wird man dafür immerhin durch einen recht guten Artikel über die ebenfalls nicht in der Ausstellung enthaltenen „Pseudo-Moabitica“.
Der Klassiker „Motel der Mysterien„, Grundlage für den humoristischen Einstieg der Ausstellung, ist passend zu dieser jüngst in einer neuen Ausgabe erschienen. Der Ausstellungskatalog stellt für diese indes eine hervorragende Ergänzung dar, indem er in einem Anfangskapitel auf zahlreiche Hintergründe des satirischen Werkes eingeht, so etwa die direkte Inspiration durch Bilder historischer Archäologen und die Veröffentlichungsgeschichte – hinzu kommt natürlich der Korpus der tatsächlichen Objekte im Objektteil.
Ausstellungskataloge gehören oft zu den Perlen archäologischer Literatur – und „Irrtümer und Fälschungen der Archäologie“ macht da keine Ausnahme. Eine hervorragende Einführung zu diversen spannenden Fällen der Wissenschaftsgeschichte, ergänzt durch einen umfassenden Katalog und die amüsanten „Motel der Mysterien“-Bezüge – letztlich bis auf das Lügenstein-Kapitel eine lohnenswerte Anschaffung für jeden an der Archäologie interessierten Leser.