Das rote Zimmer

„Lovecrafts dunkle Idole“ – das sind all jene Geschichten, die der berühmte Autor H. P. Lovecraft als besonders wirkungsvoll, weil unheimlich und dem „Kosmischen Horror“ gerecht, bewertet hat. Mit „Das rote Zimmer“ legt der Festa-Verlag den zweiten Band solcher Geschichten vor; der erste ist bereits längst nur noch zu recht hohen Preisen erhältlich. Jede Geschichte ist von einem anderen Autor; diese werden stets zuvor in einer Kurzbeschreibung zusammengefasst und Lovecrafts Meinung über sie erörtert. Doch nun ist die Frage: Hatte der Meister des Unheimlichen tatsächlich einen so guten Geschmack? Und auch wenn ja, vermögen die Geschichten auch heute noch (über 70 Jahre nach seinem Tod) zu fesseln und zu verstören? Die Antwort fällt ambivalent aus, betrachten wir die Geschichten einzeln:

H. G. Wells: Das rote Zimmer – Emanation der Angst an sich ohne konkrete Bedrohung; ganz nett, aber nicht mehr wirklich schockierend

Clemence Housman: Die Werwölfin – zwar ganz unterhaltsam, aber langgezogen und mehr Fantasy als Horror, also nicht im Geringsten unheimlich

John Buchan: Das grüne Gnu – recht gute Gruselgeschichte angesiedelt in Afrika, doch die Spannung fällt ab einem bestimmten Punkt ab, da ab dann nur noch das Vorangegangene rekapituliert wird. In Anbetracht der Tatsache, dass ein mysteriöses Erbgedächtnis und Atavismen eine Rolle spielen, kein Wunder, dass Lovecraft die Geschichte gefiel (er verwendete die Thematik selber in Schatten über Innsmouth und Die Ratten im Gemäuer).

Henry Ferris Arnold: Telegramm in der Nacht – wirklich ziemlich spannend und verstörend, doch die Pointe/Auflösung erschließt sich nicht wirklich

Mearle Prout: Das Haus des Wurmes – großartige Weird Fiction, wie sie genauso von Lovecraft selbst stammen könnte, eines der Highlights des Bandes

M. L. Humphreys: Das obere Stockwerk – mittelmäßig, auch hier keine ganz eindeutige Auflösung

Théophile Gautier: Der Mumienfuß – zu Anfang herrlich makaber, dann ziemlich traumhaft; im Ganzen aber eine solide Horrorgeschichte. Für historisch und mythologisch Interessierte eine wirkungsvolle Darstellung der Herrscher grauer Vorzeit, wobei sich bedeutungsvolle Namen wie etwa Xiutros dem Amateur nicht erschließen dürften

Arthur J. Burks: Die Glocken des Ozeans – sehr guter, atmosphärischer Horror inmitten des Ozeans, könnte auch heutzutage geschrieben sein

Robert Louis Stevenson: Die Leichenräuber – mehrmals verfilmter Klassiker um ein dunkles Geschäft mit einigermaßen überraschender Wendung

Arthur Machen: Die weißen Gestalten – beginnt mit einem interessanten Dialog über die Natur des Bösen; es folgt eine ausufernde Geschichte voller märchenhafter Exkurse, deren Pointe nicht so ganz klar wird (außer dass es anscheinend irgendwie eine Art Elfen gibt)

Edward Lucas White: Lukundoo – mal wieder eine Geschichte im Afrika-Setting, diesmal sehr wirkungsvoll und verstörend

Edgar Allan Poe: Die Auslöschung des Hauses Usher – altbekannter Klassiker und nach wie vor eine der Perlen der Horrorliteratur; an Atmosphäre und unterschwelligem Schrecken kann kaum jemand EAP das Wasser reichen. Einziger Makel ist der, dass die Geschichte vielen schon bekannt sein dürfte.

C. L. Moore: Der Kuss des Schwarzen Gottes – de facto Fantasy, aber mit wirkungsvoll inszeniertem „kosmischen Schrecken“

Lord Dunsany: Die erschütternde Geschichte von Thangobrind, dem Juwelendieb – ebenfalls eher Fantasy (oder gar Satire), für meinen Geschmack arg verkürzt und zu trocken, um einzutauchen

Letztlich kann man also zusammenfassend sagen, dass die Geschichten eine sehr unterschiedliche Qualität aufweisen. Manche sind nach wie vor sehr wirkungsvoll, andere eher flach, langatmig und ohne Fähigkeit zum Wecken von Emotionen. Mag sein, dass dies zu Zeiten Lovecrafts anders war und der Horror sich weiterentwickelt hat bzw. die Menschen heute abgestumpft und reizüberflutet sind. Trotzdem im Großen und Ganzen eine lohnende Lektüre, zumal einige wirklich gute Geschichten darunter sind und man Kostproben verschiedener berühmter Autoren des Genres gewinnt. Jedoch sollte man sich auf einen längeren Lesezeitraum gefasst machen; in einem Stück lesen lässt sich das doch des Stils wegen anspruchsvolle Buch kaum. Die Aufmachung des Buches indes ist sehr hochwertig wie bei dem Preis von 28,00€ auf jeden Fall zu erwarten; nichtsdestotrotz finden sich einige nicht korrigierte Rechtschreibfehler (erschreckenderweise sogar bei der Auflistung des Inhalts auf dem Umschlag!).

Schreibe einen Kommentar