Die Kinder Hurins


Während die Fantasy-Romane „Der Herr der Ringe“ und „Der Hobbit“ zu den größten Bestsellern aller Zeiten zählen und nicht zuletzt durch die Verfilmungen unermesslichen Ruhm erlangten, ist ein weiteres Werk J. R. R. Tolkiens, „Die Kinder Húrins“, nahezu unbekannt. Nur die wenigsten, die das Silmarillion, das „Alte Testament“ Mittelerdes, wie man es wegen seines Stils nennen könnte, angefangen haben, kamen wohl bis zur dort ebenfalls zusammengefassten Geschichte von Turin Turambar, welche im vorliegenden Buch in ihrer ganzen Länge dargestellt wird. Tatsächlich wurde „Die Kinder Húrins“ zu Tolkiens Lebzeiten nicht mehr veröffentlicht, geschweige denn gänzlich abgeschlossen. Vielmehr hinterließ er eine Reihe von mehr oder minder langen Fragmenten – darunter auch eine angefangene Fassung in pseudomittelalterlicher Stabreimdichtung. Sein Sohn Christopher Tolkien aber, der nach seinem Tod die zahlreichen unveröffentlichten Werke verwaltete, fasste die vorliegenden Stücke zu einer durchgehenden Geschichte zusammen, welche sich problemlos als homogener Roman lesen lässt. Die genauen Umstände der Entstehung werden zur Freude des interessierten Lesers im Anhang eingehend erläutert.
Die Handlung spielt im Ersten Zeitalter Mittelerdes, also Jahrtausende vor den berühmten Geschichten „Der Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“. Lange bevor Sauron zur Macht des bösen Nummer 1 wurde, bedroht dessen ehemaliger Gebieter Morgoth die Welt, in gewohnter Absicht, alles Leben zu unterjochen. Schauplatz ist das Land Beleriand, welches ebenfalls in den späteren Romanen längst nicht mehr existiert – so kann man fast schon von einer eigenen Fantasy-Welt sprechen; einzige offensichtliche Anknüpfungspunkte sind Verwandtschaftsverhältnisse vorkommender mit altbekannten Personen wie Elrond oder Galadriel, welche aber persönlich nicht in der Handlung vorkommen. Ebendiese Verhältnisse werden recht ausführlich, der vielen Namen wegen mitunter verwirrend, im Vorwort erläutert. Hobbits kommen nicht vor, Zwerge sind bloß nebensächlich – indes sind die Elben die dominierende Rasse des alten Beleriands. Im Zentrum aber steht eines der noch jungen und eher bedeutungslosen Menschengeschlechter, das Volk Húrins nämlich, vor allem dessen Sohn Túrin. Nachdem Húrin infolge der „Schlacht der ungezählten Tränen“ von Morgoth gefangen genommen wurde, verflucht jener seine Familie – der tapfere Sohn Túrin, der zum großen Krieger aufsteigt, muss dies alsbald ausbaden. Wir folgen diesem über eine Reihe von Jahren hinweg ins Elbenreich Doriath, zu einer Bande von Geächteten und schließlich der untergehenden Stadt Nargothrond. Es endet mit der Konfrontation Túrins mit dem grässlichen Drachen Glaurung, dessen Macht schon seine Schwester Nienor in den Wahnsinn getrieben hat.
Der Stil des Buches ist eigenwillig, genau genommen Tolkien pur: Weniger ähnelt „Die Kinder Húrins“ einem modernen Fantasy-Roman, als vielmehr einem altertümlichen Epos wie etwa den mittelalterlichen isländischen Sagas. Zahlreiche Namen samt Abstammungs- und Verwandtschaftsverhältnissen werden genannt, die selbst ein fantasybegeisterter Leser sich nur schwerlich merken kann – doch da nur eine Handvoll Figuren wirklich relevant ist, schadet dies dem Verständnis kaum. Die Perspektive des Erzählers ist distanziert, mehr Bericht als szenisches Erzählen, doch die Atmosphäre bleibt gewahrt. Hingegen leidet die Spannung durchaus unter den schon im Inhaltsverzeichnis sichtbaren Kapiteln mit so unmissverständlichen Namen wie „Belegs Tod“ – dass Beleg schließlich stirbt, überrascht dementsprechend nicht wirklich. Trotz dieses archaischen Stils lässt sich das Buch recht schnell durchlesen, zumal die Handlung kaum 200 Seiten umfasst, denn man gewöhnt sich daran.
Erhältlich ist das Buch in einer Hard- und einer Softcoverausgabe, die sich entsprechend auch im Preis unterscheiden. Auch das Softcover ist jedoch von edler Aufmachung, ersichtlich etwa durch die goldenen Rahmen am Umschlag und die hochwertigen Illustrationen von Alan Lee (dessen Darstellungen auch schon als Vorbilder für die Verfilmungen dienten).
Fazit: Eine auf jeden Fall lohnenswerte Anschaffung und Lektüre für Fantasy- und Tolkien-Fans, wenn auch durch den komplexen Kontext und den altmodischen Stil recht anspruchsvoll.

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