Verlorene Zivilisationen: 10 Kulturen, die spurlos verschwanden

Verschwundene Kulturen. Dieser Begriff löst unweigerlich Neugier und die Ahnung uralter Geheimnisse in Menschen aus, haben wir doch alle schon von Atlantis oder den rätselhaften Maya gehört, deren berühmter Kalender noch in der Gegenwart so manche den Weltuntergang erwarten ließ. Ein Glücksgriff war da dieses preiswerte e-Book, welches ich zufällig über Amazon fand.

In verständlicher Sprache stellt Autor Michael Rank hier 10 Zivilisationen vor, die mehr oder minder spurlos von der Erdoberfläche verschwanden. Als erstes lernt man natürlich das legendäre Atlantis kennen, das Platon als erster in seinen Dialogen beschrieb, begleitet von den verschiedenen Legenden und Theorien, die sich dieses versunkenen Landes in späterer Zeit annahmen. Hierbei wird bereits die kritische Distanz des Autors klar: Auch wenn nicht ausgeschlossen wird, Platons Bericht könne womöglich einen realen Hintergrund haben (vermutlich eine wesentlich kleinere Insel im Mittelmeer), so werden doch alle grenz- und pseudowissenschaftlichen Theorien fundiert ins Reich der Fabel verwiesen. Es folgt im zweiten Kapitel ein interessanter Bericht über die Cucuteni-Trypillja-Kultur, die in der Jungsteinzeit in Rumänien siedelte – eine der ersten sesshaften Zivilisationen überhaupt. Diese fasziniert den Leser, der mit großer Wahrscheinlichkeit noch nie von ihr gehört hat, unter anderem durch die seltsame Tradition, ihre Siedlungen in regelmäßigen Abständen niederzureißen und neu zu errichten. Nicht fehlen dürfen natürlich die Indus-Kultur, nahezu zeitgleich mit Ägypten und Mesopotamien eine der drei ersten Hochkulturen, sowie Mykene, vor allem bekannt durch Homers Ilias. Hingegen dürften die Anasazi oder Pueblo-Indianer, die steinerne Städte im heutigen New Mexiko errichteten, neu für viele Leser sein, ebenso das Königreich von Aksum und die Nabatäer mit ihrer beeindruckenden Hauptstadt Petra (bekannt aus Indiana Jones und der letzte Kreuzzug). Etwas weiter gefasst wird das Hauptthema aufgegriffen, wenn es um die verschwundene Roanoke-Kolonie in Amerika, die Erbauer der Pyramiden und die präkolumbische Entdeckung Amerikas geht. Wie schon bei Atlantis distanziert sich Rank in Bezug auf die Pyramiden von eher abwegigen Theorien wie der, Außerirdische hätten diese Bauten errichtet, da die Menschen niemals dazu in der Lage gewesen seien. Bei der Erläuterung, unter welchen Bedingungen der Pyramidenbau vonstatten gegangen sein muss, wird jedoch leider die durchaus nicht abwegige Theorie ausgelassen, dafür sei eine antike Form von Beton verwendet worden.
Zweifellos sind alle Kapitel äußerst informativ und beliefern den Leser mit faszinierenden Informationen über Kultur und Untergang verschiedener Zivilisationen. Dem Thema entsprechend steht natürlich vor allem letzterer im Vordergrund, da schließlich alle genannten Kulturen für ihr (relativ) unerklärtes Verschwinden bekannt sind. Meistens wird dieses dabei an multikausalen Ursachen festgemacht: Ein schleichender Verfall durch wirtschaftlichen Niedergang und Assimilation ist letztendlich fast immer die Erklärung der Wahl, während Katastrophenereignisse, wie man sie spontan vielleicht erwarten würde, keine nennenswerte Rolle spielen. Zum Ende wird die Haupterkenntnis noch einmal prägnant zusammengefasst: Letztendlich zerstören Kulturen sich selbst von innen, bevor äußere Faktoren ihnen zum Verhängnis werden.
Es ist nur verständlich, dass für den bescheidenen Umfang des Buches, welches sich leicht an einem Tag durchlesen lässt, nur eine Auswahl von Beispielen getroffen wurde, denen sich leicht noch weitere hinzufügen ließen. Dankbar etwa wäre in diesem Zusammenhang der Untergang des Akkadischen Reiches; auch sollten neben Atlantis die (vermutlich ebenfalls mythischen) versunkenen Kontinente Mu und Lemuria nicht fehlen. Doch eine vollständige Enzyklopädie der verschollenen Zivilisationen erwartet man nicht. Stattdessen werden kurz, aber angemessen ausführlich zehn interessante Beispiele angeführt und erläutert, bei denen sich sicher etwas Neues lernen lässt.
Einziges Manko des eigentlich sehr interessanten und insofern auch unterhaltsamen Büchleins ist die mangelhafte Orthografie, die wohl der Übersetzung zuzuschreiben ist: In sehr vielen Fällen, zweifellos störend, sind zusammengesetzte Worte, die man zusammen oder mit Bindestrich schreiben müsste, durch ein Leerzeichen getrennt – vergleichbar der Schreibweise im Englischen, auf Deutsch aber eindeutig falsch. Hinzu kommen viele Kommas, die falsch oder optional und überflüssig sind, ja den Lesefluss hindern. In zwei oder drei Fällen sind zudem Relikte der englischen Originalversion zu entdecken, die von der Übersetzerin Barbara Griem augenscheinlich übersehen wurden, nämlich ein einsames the als Artikel oder die „Harappan Kultur“ (eigentlich Harappa-Kultur). Während der Inhalt (zumindest mit dem mir vorliegenden Wissen) nicht zu bemängeln ist, fallen diese Patzer dem Leser durchaus negativ auf.

Fazit: Ein kurzweiliges, sehr interessantes Buch, dessen Übersetzung man mit mehr Akribie hätte durchführen müssen.

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