Zipfelmützengötter

Was der ungewöhnliche Titel „Zipfelmützengötter“ von Petrus van der Let verspricht, klingt erst einmal interessant: Eine über zahlreiche Kulturen hinweg fassbare Tradition von Kindsgottgestalten, die vor allem immer wieder durch ihre Zipfelmützen auffallen – und das ganze noch eingebettet in eine psychologische Erklärung für die Religion als solche. Im Endeffekt ist das Buch, keine zweihundert Seiten lang, recht gut lesbar, aber doch eine ziemliche Enttäuschung.
Die Grundprämisse, ganz zu Beginn vorgestellt, ist folgende: Viele unserer Mythen, die ja auch auf der ganzen Welt ähnliche Züge aufweisen, wurzeln tatsächlich in den ebenso parallelen Erlebnissen im Säuglingsalter, das noch durch eine ganz spezifische Art der Wahrnehmung geprägt ist – so vermögen Babys etwa noch nichts in größerer Entfernung wahrzunehmen. Die Parallelen zu manchen tatsächlichen Mythen klingen dann auch fast recht plausibel. Doch sind derartige Ansätze schon a priori mit Vorsicht zu genießen: Der genaue Wirkzusammenhang zwischen kindlicher Erfahrung und Mythenbildung ist nicht nur nicht nachgewiesen; es fehlt auch an einem plausiblen Kausalitätskonzept, so naheliegend die bloßen Parallelen im Ergebnis auch wirken mögen. Angesichts dieser Abseitsstellung von jeglicher empirischer Beweisführung sind derartige Theorien folglich auch weder be- noch widerlegbar, ergo nicht mehr so wirklich wissenschaftlich. Denkbar sind solche Beziehungen durchaus, auszuschließen keineswegs – doch müsste zunächst die Methodik eines Nachweises entwickelt werden, um die Theorie der (Beinahe-)Esoterik zu entreißen.
Doch zurück zum Buch – das nämlich kommt nach der Einleitung tatsächlich kaum noch auf jenes Grundthema zurück. Vielmehr werden in mehr oder weniger assoziativer Aneinanderreihung zahlreiche mythische, mehr aber noch historische Themen aus verschiedenen Zeitaltern erläutert, die alle einen vagen – und die Betonung liegt auf „vagen“ – Bezug zu Zipfelmützen haben. Angefangen bei der Geschichte des Gottes Mithra – also erst ziemlich spät, den gesamten alten Orient trotz umfangreichen Potenzials ausklammernd – geht es weiter durch die gesamte europäische Geschichte bis hin zu den Jakobinern der Französischen Revolution, den protofaschistischen Fantasien eines Jörg Lanz von Liebenfels und dem Ku-Klux-Clan … weil die auch alle mal irgendwie Zipfelmützen trugen. Zumindest zeitweise. Manchmal. Die ursprüngliche Hypothese, die sich ja schon qua Klappentext eher auf Mythen zu beziehen schien, gerät dabei ziemlich aus dem Blickfeld. Die einzelnen Abschnitte sind dann schließlich auch oft extrem wertend, ja bestehen mitunter aus einer schon voyeuristisch zu nennenden Ausschlachtung verschiedener historischer Übel. Das Ganze geschieht zwar aus einer religions- und faschismusfeindlichen Perspektive, der ich mich ideologisch anzuschließen vermag, doch in einem Sachbuch mit eigentlich anderem Thema hat es in dieser Form trotzdem wenig zu suchen. Was die sachliche Richtigkeit der Informationen angeht, scheint ein Großteil recht solide (vielleicht nur mangels besserer Kenntnisse des Lesers?) – mehr als pseudowissenschaftlich kommt indes die kurze Erwähnung des Diskos von Phaistos relativ am Anfang daher, der ganz selbstverständlich als mittlerweile übersetzt präsentiert wird – diametral entgegengesetzt zum tatsächlichen Faktum eines archäologischen Rätsels, an dem sich schon Generationen von Forschern die Zähne ausgebissen haben.
Am Ende fragt man sich also, was das Buch eigentlich bezwecken wollte. Vom Hauptthema wurde schon ziemlich schnell abgewichen, nur um dann mehr oder minder informativ ein Reihe relativ willkürlich ausgewählter Episoden der Geschichte etwas näher darzustellen, was sporadisch mitunter durchaus lehrreich sein kann (wenn sich dahinter nicht noch weitere große Fehler wie beim Diskos von Phaistos verbergen), aber nicht wirklich größeren Kontext hat. Was es dann am Ende tatsächlich mit den „Zipfelmützengöttern“ auf sich hat, darf der Leser sich nach einer nur geringen Zahl wirklicher Beispiele fortan selbst erschließen.