Feuer und Blut – Aufstieg und Fall des Hauses Targaryen von Westeros (Erstes Buch)

Viele Jahre schon warten die Fans auf den nächsten Band von George R. R. Martins preisgekrönter Buchreihe „Das Lied von Eis und Feuer“, unaufhaltsam schreitet die Verfilmung „Game of Thrones“ inzwischen ihrem Ende entgegen. Da erscheint nun endlich ein neues Buch – nicht gerade Band 6 bzw. 11 der Romanreihe, sondern ein unabhängiges Werk aus derselben Welt. „Feuer und Blut“, so der Titel – das ist kein Zitat von Donald Trump, sondern der Leitspruch des altehrwürdigen Hauses Targaryen, das dreihundert Jahre lang über Westeros herrschte. Die Hälfte davon hat Martin in das vorliegende Buch gepackt, das dementsprechend auch kein Roman, sondern mehr eine Chronik ist. Wenngleich eine allzu unterhaltsame Chronik, wie sich schnell herausstellt.
Auf fast 900 Seiten berichtet Martin aus der Perspektive des Erzmaesters Gyldayn über die ersten sieben Könige der Targaryen-Dynastie: Aegon I., der Eroberer, der zusammen mit seinen zwei Schwestern und drei Drachen fast ganz Westeros unterwarf. Seine Söhne Aenys, gutmütig und naiv, und Maegor, den man nicht umsonst den Grausamen nannte, die das neue Reich zu festigen versuchten und sich zahlreicher Rebellen zu erwehren hatten. Jaehaerys I., der nach anfänglichen Komplikationen über fünfzig Jahre regierte und Westeros eine beispiellose Zeit des Wohlstandes bescherte – wenngleich nicht ohne fatale Rückschläge in Form von Seuchen, einigen Kriegen und natürlich politischen Verwicklungen. Viserys I., dessen noch ruhige Herrschaft unvermeidlich in die verheerendste Katastrophe der Geschichte von Westeros mündete: Den Tanz der Drachen, jenen blutigen Bürgerkrieg zwischen zwei Linien des Hauses Targaryen, der die ganze kurze Herrschaft von Aegon II. über währte, zahlreiche Opfer unter Menschen wie Drachen forderte und schließlich ein ausgeblutetes Land unter der Führung des traumatisierten Aegon III. hinterließ, womit das Buch relativ abgeschnitten sein Ende findet.
Was Martin hier schreibt, liest sich fast wie Game of Thrones im Schnelldurchlauf: Eine Unzahl Akteure tritt auf, agiert, geht schließlich in tragischen Verwicklungen zugrunde inmitten einer hochkomplexen Welt voller Intrigen und Beziehungen. Das ist vielleicht nicht die leichteste Kost für Leser konventioneller Romane, ein Festschmaus aber für eingefleischte Fans der Reihe und Welt. Obgleich durchweg berichtend, schafft es Martin doch, an den zentralen Stellen Spannung aufzubauen und gerade soweit ins Szenische auszugreifen, wie es der Unterhaltung dient, ohne dem Stil zu schaden. Raffiniert gemacht ist dabei auch die Instanz des fiktiven Geschichtsschreibers, der bisweilen selbst zwischen widersprüchlichen Quellen abwägt oder bei Mangel an Information Vermutungen anstellt. Wiewohl sich auch der rote Faden an den Königen entlanghangelt, so bleibt doch immer noch massig Platz für zahlreiche Nebenstränge voller Hintergründe und Anspielungen, die doch alle wieder Einfluss auf das Schicksal der Welt haben. Wie man es schon aus den vorigen Romanbänden mit ihrer nicht vorhandenen Zweiteilung in Gut und Böse gewohnt ist, erschafft Martin auch hier eine teils schwer überblickbare Genealogie von Figuren, die doch alle komplex und innovativ sind, ambivalent und weitgehend frei von Klischees. Erneut, wenn nicht umso mehr, fällt der gnadenlose Realismus einer mittelalterlichen Welt mit all ihren Übeln auf, wobei allzu hart etwa die Sterblichkeit von Müttern und Kindern zu Buche schlägt. Und natürlich bekommt man endlich auch Drachen zu sehen, prominenter und präsenter als in allen Lied-von-Eis-und-Feuer-Bänden zuvor.
Freilich ist „Feuer und Blut“ nicht das erste Buch von Martin, das sich der Geschichte der Targaryens widmet. Schon in „Westeros: Die Welt von Eis und Feuer“ wurde ein historischer Abriss präsentiert, doch es wäre verfehlt, „Feuer und Blut“ als eine bloße Ausschlachtung alten Materials zu bezeichnen – vielmehr bietet sich damit erstmalig die Gesamtheit der Hintergründe (zumindest einer gewissen Zeit und Familie) dar, deren vorherige Fassung nur an der Oberfläche kratzte und zahlreiche Aspekte ausließ. Tatsächlich wurden jedoch auch schon Teile des Buches selbst zuvor eigenständig veröffentlicht, nämlich im Rahmen mehrerer Anthologien, so zum Beispiel eine Schilderung des Drachentanzes in „Königin im Exil“ und der Abschnitt „Der Bruder des Königs“ im gleichnamigen Sammelband. Beim Lesen des Gesamtbuches fallen indes keinerlei Brüche auf, die auf eine uneinheitliche Entstehung schließen ließen – vielmehr scheint es so, dass die Anthologiebeiträge einem bereits recht ausgereiften Gesamtmanuskripts entnommen wurden. Als jemand, der die Anthologien nicht besitzt (zumal eine von diesen, „The Book of Swords“, nie auf Deutsch erschienen ist), kann ich mich nur freuen, dass all diese verstreuten Beiträge nun in diesem einen Band vereinigt sind.
Ein weiterer zu lobender Aspekt ist der dem Buch beigefügte Stammbaum der Targaryen-Familie als Poster, der zusammengeklappt zugleich als Schutzumschlag fungiert – ein außergewöhnlich robuster Schutzumschlag zudem, da doppellagig und aus hochwertigerem Papier als bei vergleichbaren Umschlägen anderer Bücher. Hinzu kommen die zahlreichen Illustrationen, gleichwohl von Personen wie Ereignissen, die umso mehr zum Eintauchen in die Welt von Westeros beitragen.
All dies ergibt ein ziemliches Monumentalwerk, in Komplexität und Inhalt wohl jeden früheren Einzelband überbietend, zumal durchaus spannend und flüssig zu lesen. Nur für wirkliche Fans der Reihe, versteht sich, aber für die umso mehr. Und in Anbetracht der Tatsache, dass „Feuer und Blut“ nur die Hälfte der Targaryen-Dynastie abhandelt – so bleiben etwa die Eroberung von Dorne sowie sämtliche Schwarzfeuer-Rebellionen außen vor – bleibt nur zu hoffen, dass George R. R. Martin wenigstens diesmal zügig nachlegt.