Mohamed: Eine Abrechnung

So energisch wie wohl nie zuvor in Deutschland wird zurzeit über den Islam gestritten. Letztlich eint nur eines die Rechten und ganz Linken, die Feinde und Befürworter: Sie haben von der Religion selbst denkbar wenig Ahnung, wie wohl der Großteil der abendländischen Bevölkerung. Umso mehr ein Grund, den Islam zu verstehen, will man über ihn urteilen – und damit fängt man am besten ganz am Anfang an, bei seinem Gründer. „Mohamed: Eine Abrechnung“ lautet der unmissverständliche Titel des Buches des bekannten Islamkritikers Hamed Abdel-Samad, in dem dieser Leben und Wirken des islamischen Propheten unter die Lupe nimmt.
Was dabei herauskommt, ist ein komplexes, aber plausibles Psychogramm eines Mannes, von dessen Persönlichkeit wir doch erstaunlich vieles wissen, obwohl er vor tausendvierhundert Jahren lebte. Selten der Koran, umso mehr aber die Hadithe – ein riesiger Korpus von Aussprüchen und Anekdoten über Mohamed – sowie andere mittelalterliche Quellen (etwa Biographien) geben Aufschluss über dessen Leben, Wirken und Psyche. Aufgewachsen als Waise ohne dauerhafte Bezugspersonen, zumal mit einer zweifelhaften Abstammung, gelangt der junge Mohamed erst durch Heirat mit der wesentlich älteren Khadidscha zu wirtschaftlichem Erfolg. Mit etwa vierzig Jahren beginnt, was Muslime Offenbarung, Psychologen wohl eher komplexe Wahnvorstellungen nennen. Nach Jahren des Misserfolgs bei der Verkündigung der neuen Lehre radikalisiert sich diese zunehmend, bis es der selbsternannte Prophet schließlich durch Überzeugung und Allianzen zum mächtigen Feldherrn bringt, der von Medina aus auch seine alte Heimat Mekka zurückerobert.
Abdel-Samads „Abrechnung“ mit dem für über eine Milliarde Menschen über alles heiligen Propheten ist schonungslos, bezweckt sie doch das, was dem Islam als äußerste Blasphemie entgegensteht: Seinen Begründer als Menschen zu betrachten. Als Menschen mit einer komplexen Psyche, in vielerlei Hinsicht krankhaft, doch auch deutlichen Wandlungen im Laufe des Lebens unterworfen, mit einem gestörten Verhältnis zu Frauen, das sich in gleichsam Angst und Besitzsucht äußert, in ständigem Wechselspiel mit einem imaginären Verbündeten, der die Auslebung tiefsitzender Fantasien möglich macht und legitimiert. Dabei wird weder der historische Kontext außer Acht gelassen, nicht zuletzt die Glaubwürdigkeit der verschiedenen Quellen, noch die konkreten Auswirkungen dieser einen Person und ihrer Rezeption auf die daraus entstandene Religion – bis heute. Vielleicht mögen Experten, die selbst genauso vertraut mit der komplexen Materie sind wie der Autor, zu manch anderen Schlüssen kommen – auf den interessierten Laien jedenfalls wirken sie glaubwürdig, gar zwingend. Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass es Hamed Abdel-Samad gelungen ist, in allgemeinverständlicher Sprache eine mehr als aufschlussreiche Analyse dessen zu schaffen, worauf der Islam tatsächlich basiert – nicht  rechtsextrem, rassistisch und polemisch, sondern rational und nüchtern. So wird auch der Koran als das betrachtet, was er ist – nicht ein reines Manifest von entweder Hass oder Liebe, wie es Feinde und Verteidiger des Islam jeweils behaupten, sondern der direkte Ausfluss einer sich wandelnden, teils spontanen und auch widersprüchlichen Psyche, eines (teils sehr gestörten) Menschen eben. Um ein wirklich zitierfähiges Standardwerk zu sein, hätte das Buch bisweilen mehr konkreter Quellenangaben auch bei allen Kleinigkeiten bedurft, so der vielleicht einzige Makel, doch hätte darunter womöglich die populärwissenschaftliche Lesbarkeit gelitten. Nichtsdestotrotz ist es ein Sachbuch, das man lesen sollte, gerade um sich im heutigen „postfaktischen Zeitalter“ der emotionalisierten Debatten eine Meinung zu bilden. Ein Affront gegen eine Weltreligion, doch ein absolut nötiger.