Verbrannte Zungen

Groß prangt der Name Chuck Palahniuk auf dem Cover des Buches „Verbrannte Zungen“. Manch einer mag enttäuscht sein, sobald er herausfindet, dass tatsächlich mit Ausnahme des Vorwortes kein Stück dieser Anthologie vom berühmten Fight-Club-Autor stammt – doch für solcherlei Gefühle gibt es keinen Grund. Einem Workshop für aufstrebende Autoren entsprungen, ist es den Herausgebern des Buches nämlich gelungen, eine einzigartige Auswahl von acht Geschichten zu bilden, die selbst dem großen Namen auf dem Cover alle Ehre machen würden. Das Genre lässt sich schwerlich definieren: Drama, Sozialfiktion, menschliche Schicksale … jedenfalls irgendwie grotesk und gerne in höchstem Maße kontrovers, gar verstörend. Der gemeinsame Selbstmord einiger Schülerinnen und dessen Hintergründe, ein Student zwischen Lernstress und der Aussicht auf soziale Kontakte, ein langsam den Verstand verlierender Exsoldat und ein Fan, der sich etwas zu sehr mit dem von ihm bewunderten Autor identifiziert – da ist für jeden was dabei. Die Geschichten sind drastisch, aber trotzdem – womöglich gar deshalb – absolut fesselnd, davon abgesehen von handwerklicher Perfektion. Die Auflösung der Geschichte „Melody“ erschloss sich mir zwar nicht wirklich, doch auch diese glänzte immerhin durch Unterhaltsamkeit und solide Inszenierung. Es ist hier eben diese Art von Geschichten, die weniger von der Pointe leben, als vielmehr ihren Wert in der Gesamtheit des Textes tragen – skurril bis obszön, aber eben auch irgendwie genial. Kritikpunkt kann einzig und allein der recht geringe Umfang des Werkes sein, der kaum für mehr als einen Tag ausreicht.
Doch zurück bleibt ein flaues Gefühl. Im Vorwort verglich Palahniuk das vorliegende Werk mit anderen, mit denen man zunächst nichts anfangen kann, um dann Ewigkeiten nach dem ersten Beiseitelegen ihren Wert zu erkennen. Habe ich nun etwas falsch gemacht, wenn ich schon beim erstmaligen Lesen begeistert war von „Verbrannte Zungen?“

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